Brian Martin
Warum sollten wir es gewaltfreie Aktion nennen?
Aus der Dokumentation des BSV - Fachgesprächs ZUM THEMA GEWALTFREIHEIT:
On-line gesetzt am 4. April 2014
zuletzt geändert am 2. Dezember 2023

„Gewaltfreiheitsdebatte? Militanzdebatte? Nicht schon wieder!“, stöhnen viele AktivistInnen, wenn es in Bündnissen, Kleingruppen oder theoretischen Diskussionen auf die unterschiedlichen Ansätze, Handlungsweisen und Überzeugungen bezüglich Gewalt und Gewaltfreiheit zu sprechen kommt. Die Debatte ist jedoch hoch aktuell.

Die 80-seitige Dokumentation des BSV-Fachgespräches im Oktober 2013 in Minden erscheint als Hintergrund- und Diskussionspapier Nr. 36 (HuD) mit dem Titel „Gewaltfreiheit – Aktionsform, Handlungsmaxime oder Ideologie?. Sie kann zu einem Preis von 4 € zzgl. 2,50 € Versandkosten beimBSV bestellt oder von der Website (www.soziale-verteidigung.de) kostenlos heruntergeladen werden.

Sie stellt sowohl Beiträge und Ergebnisse des Fachgespräches als auch zusätzliche Texte – aus gewaltfreien Bewegungen, der Wissenschaft und „gewaltfreiheitskritischen Spektren“ zusammen. Darin Artikel von Christine Schweitzer, Max Knospe, Renate Wanie, Annika Gronau, Andrea Pabst, Hanna Poddig, Brian Martin, der Gruppe Landfriedensbruch, Ute Finckh-Krämer, Frank Brendle, Wolfgang Sternstein, Berthold Keunecke und Sarah Roßa.

Aus der Dokumentation der Text von Brian Martin

Warum sollten wir es gewaltfreie Aktion nennen?

Streiks, Boykotts, Sitzstreiks, Fastenaktionen, Massenkundgebungen – vielen Menschen sind diese Aktionsformen bekannt. Sie werden gewöhnlich „Methoden der gewaltfreien Aktion“ genannt. Aber worauf genau bezieht sich der Ausdruck „gewaltfreie Aktion“? Gibt es bessere Bezeichnungen? Und wie gut funktioniert „gewaltfreie Aktion“ eigentlich?

Es gibt keine endgültigen Antworten auf diese Fragen. Viele Menschen haben dazu eine eigene Meinung, aber es gibt, auch unter FriedensaktivistInnen, wichtige Unterschiede und Unsicherheiten. Hier ist es mein Ziel, einige Perspektiven anzubieten, um eine Diskussionsbasis zu schaffen. Zuerst werde ich einen Blick darauf werfen, wie gewaltfreie Aktion definiert ist, dann auf Argumente, die dafür sprechen, sie zu nutzen und was sie effektiv macht und schließlich auf ihre verschiedenen Erscheinungsformen. Ich werde „gewaltfreie Aktion“ als vorläufigen Ausdruck nutzen in dem Wissen, dass Andere möglicherweise eine andere Bezeichnung bevorzugen würden.

Was ist gewaltfreie Aktion?

Im Laufe der Jahre habe ich festgestellt, dass der einfachste Weg, gewaltfreie Aktion zu erklären, die Aufzählung einiger der bekanntesten Methoden ist: Kundgebungen, Streiks, Boykotts. Eine umfassende Auflistung von Methoden könnte als eine Art Definition dienen, außer, dass die Abgrenzung Schwierigkeiten bereitet. Werfen wir also einen Blick auf diese Abgrenzungen.
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Eine Grenze verläuft bei Gewalt und meint physische Gewalt wie Schläge, Folter und Mord. Jeder würde zustimmen, dass die Nutzung von Gewehren und Raketen, um Menschen zu töten, Gewalt ist. Aber wie sieht es aus mit der Beschädigung von physischen Objekten, z.B.ein Ladenfenster mit Steinen einschmeißen, ein Polizeifahrzeug anzünden oder ein leeres Gebäude in die Luft sprengen? Einige würden das Gewalt nennen, während andere widersprechen und sagen, dass die Aktion gegen Menschen gerichtet sein müsse, um als Gewalt zu gelten.

Einige UmweltaktivistInnen nutzen Formen der Sabotage wie die Zerstörung von Reklametafeln, das Füllen von Sand in Bulldozertanks und das Hämmern langer Nägel in Bäume, um die Sägeblätter beschädigen, wenn sie gefällt werden. Diese Klasse von Handeln beinhaltet Gewalt gegen Objekte, ist aber darauf ausgelegt, das Schädigen von Menschen zu vermeiden. Solche Aktionen befinden sich im Grenzbereich zwischen gewalttätigem und gewaltfreiem Handeln.

Wie sieht es mit der Benutzung eines Hammers aus, um die Spitze einer Atomrakete einzudellen, eine klassische Technik, die von Pflugschar-AktivistInnen genutzt wird, wonach sie sich der Polizei stellen? Sie haben ein Objekt beschädigt – ein Objekt, das selber ein machtvolles Gewaltwerkzeug ist. Viele würden dies eine Art gewaltfreier Aktion nennen, trotz der damit einhergehenden physischen Zerstörung.

Wie sieht es aus mit einer Person, die eine Computerdatei löscht, die eine Adressenliste von Dissidenten enthält, die verhaftet werden sollen? Auch das beinhaltet etwas zu zerstören – nämlich die geordneten Muster auf einem Computerchip – was aber in einem physischen Sinn kaum ins Gewicht fällt.

Wie sieht es damit aus, kleine Steine nach einem Panzer zu werfen? Das ist physische Gewalt, aber mit einer geringen Wahrscheinlichkeit, jemanden zu verletzen.

Es ist möglich, sehr ausführlich über diese Beispiele zu diskutieren. Hier ist es am einfachsten zu sagen, sie befinden sich im Grenzbereich: es herrscht Unstimmigkeit darüber,ob sie gewalttätig oder gewaltfrei genannt werden sollten.

Eine weitere wichtige Abgrenzung besteht zum konventionellen politischen Handeln.
Wählen und Wahlkampf sind, in Ländern, wo diese zur politischen Kultur gehören und die Regierung ihnen nicht im Wege steht, konventionell. Im Gegensatz dazu geht gewaltfreie Aktion über das Konventionelle hinaus, indem es ungewöhnlich, stärker oder konfrontativer ist. Ohne diese Abgrenzung könnte man ein Gespräch über Politik führen und behaupten „das war gewaltfreie Aktion: Sprechen ist eine Handlung und es kam nicht zu Gewalt“.

Eines der Probleme mit dieser Abgrenzung ist, dass sie nicht die Gleiche an allen Orten und zu allen Zeiten ist. Gene Sharp, der führende Autor in dem Feld, katalogisierte 198 Methoden gewaltfreien Handelns und sagte, dass es noch viele andere gäbe. Sharps Fokus lag auf den größten Herrschafts- systemen, wie Diktaturen oder Rassenunterdrückung. In diesen Systemen können sogar scheinbar „milde“ Handlungsformen eine ernsthafte Bedrohung für die Herrschenden sein. In einer Diktatur kann das Verteilen eines Flugblatts zu Verhaftung, körperlicher Misshandlung und Gefängnis führen.

Viele der Methoden, die Sharp „Protest und Überzeugung“ nannte, das Verteilen von Flugblättern, das Stellen einer Bittschrift und Kundgebungen, sind riskant in Diktaturen, aber normal an Orten, an denen bürgerliche Freiheiten respektiert werden.
Flugblätter verteilen ist in Schweden oder Japan fast nie eine besondere Herausforderung für das System. Das Problem ist, dass AktivistInnen sich Sharps Methodenliste anschauen, Flugblätterverteilen, Stellen einer Bittschrift und ähnliche Methoden sehen und sagen, „wir führen eine gewaltfreie Aktion durch“. Die Methoden werden aus dem Zusammenhang gerissen und behandelt, als ob sie automatisch in der Kategorie „gewaltfreie Aktion“ seien.

Das hatte Sharp so nicht vorgesehen, aber sein Methodenkatalog schuf den starken Eindruck, dass die Methoden überall auf die gleiche Weise funktionieren.
Es ist erwähnenswert, dass Flugblätter, Bittschriften u.ä., auch wenn sie alltäglich sind, sehr nützliche und effektive Methoden sein können. Der Punkt hier ist, dass sie nur an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten schlagkräftige, nicht-konventionelle Aktionsformen sind. Mancherorts sind Streiks und Boykotts so akzeptiert, dass sogar sie nicht mehr als gewaltfreie Aktion gelten können.

Manche Menschen möchten das Wort „Gewalt“ in anderen Zusammenhängen verwenden. „Emotionale Gewalt“ zum Beispiel meint Schaden, der Anderen durch Beschimpfung, emotionale Manipulation und andere Techniken, um ihr Denken zu beeinflussen, zugefügt wird. „Strukturelle Gewalt“ bezieht sich auf Herrschaftssysteme – zum Beispiel wirtschaftliche Ausbeutung durch Handelssysteme – die Armut, Unterordnung, Ausgrenzung und andere Formen von Ungerechtigkeit verursachen.

Ich ziehe es vor, das Wort „Gewalt“ zu benutzen, um mich auf „physische Gewalt“ zu beziehen. Das hat den Grund, dass, wenn alles Mögliche mit „Gewalt“ bezeichnet wird, das Wort zu einem vagen Begriff wird, der im Grunde signalisiert, dass etwas „schlecht“ ist:

Falls du denkst, dass etwas schlecht ist, nenne es „gewalttätig“. Wenn jedoch die vollständige Bezeichnung benutzt wird, wie zum Beispiel „emotionale Gewalt“, dann ist klar, was gemeint ist. Das Wort „Gewalt“ fügt solchen Ausdrücken selten besonders viel Bedeutung hinzu. Alternativen zu „emotionaler Gewalt“ schließen „emotionalen Missbrauch“ und „psychologische Manipulation“ ein. Als Alternativen zum Begriff „strukturelle Gewalt“ dienen „Ausbeutung“, „Herrschaft“, „Unterdrückung“ und „Ungerechtigkeit“.

Gewaltfreie Aktion ist nicht dasselbe wie ziviler Ungehorsam, der die absichtliche Verletzung von Gesetzen als Mittel, diese Gesetze oder anderes Unrecht infrage zu stellen, beschreibt.

Gewaltfreie Methoden sind auch nicht notwendigerweise illegal: Boykotts oder mit Töpfenklappern kann absolut legal und trotzdem eine mächtige Handlungsoption sein. Ziviler Ungehorsam ist vielmehr ein spezifischer Typ gewaltfreien Handelns neben anderen.

Um zusammenzufassen: „Gewaltfreie Aktion“ bezeichnet verschiedene Arten sozialen
Handelns. Wenn wir uns die gesamte Palette der Dinge anschauen, die Menschen tun können, kann man sich „gewaltfreie Aktion“ als auf beiden Seiten begrenzt von Gewalt einerseits und konventionellem politischen Handelns andererseits vorstellen. Es sollte auch erwähnt werden, dass dies nur eine der Arten ist, wie „man sich gewaltfreie Aktion“ vorstellen kann. Manche Menschen bevorzugen andere Weisen, sie zu definieren.

Bis jetzt habe ich von „gewaltfreier Aktion“ gesprochen statt von „Gewaltfreiheit“. In der gandhianischen Tradition der auf Prinzipien basierenden Aktion meint „Gewaltfreiheit“ einen Lebensstil auf Grundlage einer Ethik von Respekt und Mitgefühl. Im Gegensatz dazu bezeichnet „gewaltfreie Aktion“ gewöhnlich bestimmte Handlungsmethoden.

Warum sollte gewaltfreie Aktion genutzt werden?

Gewaltfreie Aktion ist schlagkräftiger, störender oder unorthodoxer als konventionelles politisches Handeln, jedoch nicht so schlagkräftig oder zerstörerisch wie Gewalt.
Gewaltfreie Aktion kann als stark, aber nicht zu stark, gedacht werden.

Der allgemeine Diskurs über das Für und Wider gewaltfreien Handelns geht davon aus, dass die Hauptalternative das Ausüben von Gewalt ist, ob das nun bedeutet, die Polizei tätlich anzugreifen oder in einer Guerrilla mitzukämpfen. Es gibt zwei wichtige Argumentationsstränge für gewaltfreie Aktion als Alternative zur Gewalt. Der erste pocht darauf, dass die Benutzung von Gewalt unethisch ist; das ist die gandhianische Tradition, auch „prinzipielle Gewaltfreiheit“ genannt. Der zweite Argumentations- strang ist, dass Gewalt zu benutzen weniger effektiv ist als gewaltfrei zu handeln. Gene Sharp ist einer der hervorstechenden Befürworter dieser Ansicht, die auch „pragmatische Gewaltfreiheit“ genannt wird.

Die Debatte über gewaltsame kontra gewaltfreie Aktion verzettelt sich oft im Streit, ob Gewalt gerechtfertigt sei. Angesichts von Folter und Massakern könnte die Anwendung von Gewalt als legitim betrachtet werden. Aber darum geht es hier nicht. Vom Gesichtspunkt der pragmatischen Gewalt-freiheit sollte die Frage vielmehr darauf abzielen, ob Gewalt effektiver ist als ein Handeln, das auf Gewalt verzichtet. Gewalt mag unter Umständen gerechtfertigt sein, ist aber eine schlechte strategische Wahl.
Das Gleiche gilt für Gewalt, um sich gegen einen Angriff zu verteidigen, zum Beispiel, wenn sich DemonstrantInnen gegen die Polizei zur Wehr setzen. Unter solchen Umständen mag es gerechtfertigt sein, PolizistInnen zu verletzen, aber bloß weil es gerechtfertigt ist, macht es das nicht zu gewaltfreiem Handeln. Es bedeutet auch nicht, dass Verteidigung durch Zurückschlagen notwendigerweise effektiver ist als andere Taktiken.

Gewaltfrei zu sein bedeutet, dem GegnerInnen keine körperlichen Verletzungen zuzufügen. Gewaltfrei handelnde AktivistInnen jedoch laufen oft selbst das Risiko, verletzt zu werden.
Wenn der potenzielle Schaden für AktivistInnen groß ist, mag es sich auszahlen, weniger riskante Handlungsoptionen zu wählen. So kann Leid minimiert und mehr Menschen die Teilnahme, etwa an einer Demonstration, ermöglicht werden.
Wenn wir Gewalt als „zu stark“ bezeichnen, möchten wir damit sagen, dass sie kontraproduktiv sein kann. Sie beschränkt die Teilnahme Dritter an der Auseinandersetzung, schweißt Gegner zusammen, schafft der Gegenseite einen Anreiz, sich stärker zu engagieren und fördert Geheimhaltung und Autoritarismus.

Weitaus seltener wird diskutiert, warum man eher gewaltfreie Aktion als konventionelle politische Aktion wählen sollte. Der entscheidende Grund ist, dass diese Methoden einfach nicht funktionieren, beziehungsweise nicht gut oder nicht schnell genug funktionieren.

Wahlen können Wandel herbeiführen, aber manchmal sind Wahlsysteme unfair, Wahlen können gefälscht und WählerInnen durch Zwang oder Propaganda manipuliert werden. Gewaltfreie Aktion ist eine Möglichkeit, um in solchen Situationen einen Wandel anzustoßen.

Neben der Frage nach den Gründen, warum man gewaltfreie Aktion einsetzen sollte, ist es auch hilfreich, die Merkmale effektiven gewaltfreien Handelns zu identifizieren. In den Streik treten, mag wie eine gute Idee erscheinen, aber wenn er nicht die angemessene Methode oder nicht richtig organisiert ist, wird er wahrscheinlich nicht den gewünschten Effekt haben. Im Folgenden sollen einige Merkmale angeführt werden, die gemeinhin als wichtig für Effektivität genannt werden.

• Teilnahme vieler Menschen. Erica Chenoweth und Maria Stephan zufolge sind die Erfolgschancen von Anti-Regime Kampagnen desto größer, je mehr TeilnehmerInnen es gibt.

• Teilnahme unterschiedlicher Bevölkerungsschichten. Wenn verschiedene Gruppen –
StudentInnen, ArbeiterInnen, KleinunternehmerInnen oder Menschen verschiedener ethnischer Gruppen – sich beteiligen, sind sie schwieriger zu marginalisieren.
Heterogene Gruppen bringen neue Ideen und Netzwerke in die Auseinandersetzung ein.

• Strategische Wahl und Nutzung von Methoden. Es ist wichtig, die angemessensten Handlungs- methoden zu wählen, sie richtig anzuwenden, sie der Taktik der Gegenseite anzupassen und gegebenenfalls abzuändern.

• Neutrale und GegnerInnen für die eigene Sache gewinnen. Dies ist wesentlich für den Erfolg.

Ein weiteres Merkmal ist von entscheidender Wichtigkeit: gewaltfreie Disziplin zubewahren, was bedeutet, keinen Gebrauch von Gewalt zu machen. Das ist bereits Teil der Definition, verdient aber, herausgestellt zu werden. Manche Kampagnen schlagen fehl, wenn AktivistInnen sich entscheiden, zu Gewalt überzugehen, was von Beteiligung abschreckt und Unterstützung für die Gegenseite stärkt. Außerdem führt Gewalt fast immer zu insgesamt mehr Leid.

Warum sollte es „gewaltfreie Aktion“ genannt werden?

Das Konzept, das ich „gewaltfreie Aktion“ genannt habe, ist leichter zu beschreiben als zu kategorisieren. Eine Aktion als „gewaltfrei“ zu bezeichnen, bedeutet, sie mit einem negativen Begriff – frei von Gewalt – zu beschreiben, um etwas Positives auszudrücken, und ist daher schnell fehlinterpretiert. Gibt es bessere Begriffe? Einige der geläufigen Alternativen sind „passiver Widerstand“, „satyagraha“, „ziviler Widerstand“ und „people power“. Jede hat Vor – und Nachteile, von denen einige in der Tabelle unten aufgelistet sind:

Begriff : Passiver Widerstand

Gebrauch: Vor 1906, und durch Menschen, die keine anderen Begriffe kennen

Vorteile
• beschreibt ein Fehlen von Aggression
• macht Widerstand deutlich

Nachteile
• suggeriert Passivität dass die Gegenseite die Initiative hat

Begriff : Satyagraha

Gebrauch: Gandhis bevorzugter Begriff; kaum benutzt außerhalb gandhianischer Kreise

Nachteile
• unvertraut (weniger leicht missgedeutet), als fremd angesehen (außer in Indien)
• mit Pazifismus assoziiert

Begriff : Gewaltfreie Aktion

Gebrauch : Gängiger Ausdruck in vielen akademischen und aktivistischen Kontexten

Vorteile´
• Standardausdruck zeigt das Fehlen von Gewalt an
• zeigt Nicht-Passivität an

Nachteile
• negative Konstruktion leicht fehlinterpretiert
• mit Pazifismus assoziiert

Begriff : Ziviler Widerstand

Gebrauch : Von einigen AkademikerInnen und AktivistInnen genutzt

Vorteile:
• suggeriert Handeln durch ZivilistInnen
• suggeriert nicht-routinemäßige Aktivität

Nachteile
• unvertraut, unspezifisch
• suggeriert, dass die Gegenseite die Initiative hat

Begriff : people power

Gebrauch In Medienstories und von einigen AkademikerInnen und AktivistInnen genutzt

Vorteile:
• zeigt Volksbeteiligung
• impliziert Stärke

Nachteile
• unspezifisch, unterschlägt individuelles Handeln
• assoziiert mit Massenkundgebungen

Wie die Tabelle schon andeutet, gibt es keinen idealen Ausdruck – und keinen, der von allen genutzt wird. Dies scheint ein großes Durcheinander zu sein: unterschiedliche Ausdrücke, die meisten von ihnen fehlinterpretiert, missverstanden oder obskur. Was ist die Lösung? Eine Antwort ist, für einen bestimmten Begriff zu plädieren. Manche AkademikerInnen bevorzugen „ziviler Widerstand“, weil er einiges an konzeptionellem Ballast vermeidet, der mit „gewaltfreiem Handeln“ assoziiert wird.
Nichtsdestotrotz wird es wahrscheinlich immer Probleme mit den Begriffen geben, denn „gewaltfreie Aktion“ ist ein umstrittenes Gebiet. FürsprecherInnen des bewaffneten Kampfes verunglimpfen derartiges Handeln als schwach und ineffektiv, während BefürworterInnen konventionellen politischen Handelns es als Gefahr für das System porträtieren. Beiden Seiten ist gewaltfreie Aktion nicht willkommen, daher stellen sie sie unvorteilhaft dar. Wenn es also einen beschreibenden Begriff gäbe, der dem breiten Publikum zugänglich wäre, könnte dieser bald ebenso nicht wünschenswerte Konnotationen erhalten.

Denken Sie an das Wort „Anarchismus“, das einfach ein politisches System ohne Regierung bezeichnet, in dem Menschen ihr eigenes Leben kollektiv organisieren. Aufgrund des Widerstands von MarxistInnen und etablierter Politik gilt das Wort üblicher – und inakkuraterweise - als Synonym für Chaos. AnarchistInnenen werden als irrationale BombenlegerInnen porträtiert. Das legt nahe, dass die Vermeidung von Begriffen wie „gewaltfreie Aktion“ oder die Benutzung „sicherer“ klingender Alternativen nicht effektiv ist, zumindest nicht auf Dauer.

Andererseits kann manchmal ein abwertender Begriff – so wie „queer“ – für einen positiven Gebrauch zurückgewonnen werden. Der Gedanke ist, einen lächerlich machenden Begriff anzunehmen und ihn stolz zu benutzen, um ihn letztlich normal und geschätzt erscheinen zu lassen.

Eine Zwischenposition ist, sich nicht mit der Reichweite der unterschiedlichen Begriffe aufzuhalten, sondern einfach den Begriff zu nutzen, der zu einem bestimmten Publikum passt. Manchmal braucht man auch gar keinen Begriff, denn Aktionen können präziser beschrieben werden, z.B. als „Mahnwache“ oder „Besetzung“.

Probleme, die sich aus Sprache ergeben

Eine der Fallen von Sprache ist, anzunehmen, dass ein einmal angebrachtes Label seine Eigenschaften auf das so bezeichnete Objekt überträgt. Dies geschieht, wenn AktivistInnen auf der Basis einer bestimmten Definition etwas als „gewaltfrei“ erachten und daher annehmen, dass es gut sein muss, zum Beispiel ethisch akzeptabel oder effektiver als Alternativen. AktivistInnen könnten sagen, „in diese Anlage einzubrechen ist gewaltfrei, da wir nur Drähte zerschneiden und niemanden verletzen“. Das mag stimmen, aber es ist nicht genug.

AktivistInnen müssen sich die Frage stellen, ob ihre Aktion voraussichtlich effektiv sein wird.

„Gewaltfreiheit“ macht Handeln nicht effektiv. Es könnte andere Methoden geben, die effektiver sind, also größere Beteiligung ermöglichen, größere öffentliche Unterstützung schaffen oder das Engagement der Gegenseite unterminieren. Manchmal ist konventionelles politisches Handeln die bessere Alternative.

AktivistInnen müssen ihr Handeln ständig unter dem Gesichtspunkt ihrer Ethik und Politik untersuchen. Gewaltfrei sein bedeutet nicht automatisch ethisch korrekt zu sein. Manchmal ist Streiken zu stark und manchmal geschieht es für den falschen Zweck. Die Schlussfolgerung daraus ist, immer Ethik und Politik zu berücksichtigen, kurzfristige Taktiken im Licht langfristiger Ziele zu betrachten und sich dem entsprechend zu verhalten.

Begriffe können nützlich sein, sollten aber kein Ersatz dafür sein, sorgsam über Ziele nachzudenken und wie man sie erreichen kann.

Dank an Christine Schweitzer und Tom Weber für wertvolle Kommentare zum Entwurf.

Übersetzung aus dem Englischen: Max Knospe