Martina Fischer
Gewaltfrei gegen die Ausweitung militärischer Übungsplätze
Zum Beispiel in Spanien der 80er Jahre: Cabaneros
On-line gesetzt am 4. Juni 2023
zuletzt geändert am 29. Oktober 2023

Widerstände gegen militärische Landnahme*

Widersetzungen von Gebietskörperschaften gegen die Aneignung von Ressourcen durch das Militär haben ihren Ursprung nicht erst in der Totalverweigerungskampagne. Seit Beginn der achtziger Jahre waren Widerstände gegen militärische Landnahme zu beobachten, zunächst vor allem in den nördlichen Landesteilen. Proteste von Anwohnern, lokalen Friedensgruppen und Kommunalpolitikern unterschiedlicher Parteizugehörigkeit verhinderten 1987 zum Beispiel die Verlagerung des Gebirgsjägerbataillons Montejurra im Militärdistrikt Navarra vom Stadtrand Iruns nach Francoandia (Sierra del Perdón). 403
Kommunaler und lokaler Widerstand verhinderte ebenfalls den Ausbau des Luftwaffenübungsgeländes "Las Bardenas Reales" in Navarra. Der Schieß- und Bombenabwurfplatz steht mit dem US-Luftwaffenstützpunkt in Zaragoza in Verbindung und wird von spanischen, amerikanischen und NATO-Militär-verbänden genutzt. Politische Repräsentantlnnen der umliegenden Kommunen hatten wiederholt auf zu exzessive Nutzung und nach Abstürzen von Militärflugzeugen auf unzureichende Sicherheitsvorkehrungen hingewiesen. Nach und nach sprachen sich alle betroffenen Gemeinden gegen die Einrichtung des Übungsgeländes aus. 404

Aber auch in Landesteilen, in denen Autonomiebestrebungen keine Rolle spielen, begannen Bürgerinnen während der achtziger Jahre Gebietsansprüche der Armee in Frage zu stellen. In Zentralspanien stieß das Verteidigungsministerium mit seinen Plänen zur Ausweitung von Übungsgebieten für die Luftwaffe ebenfalls auf Gegenwehr. Als das Ministerium beschloß, drei Viertel des von Getreideanbau und Naturreservaten geprägten, 24.000 ha großen ehemaligen Latifundiums um die Finca Cabafieros (Ciudad Real) in Militärgelände umzuwandeln, begannen im Frühjahr 1983 weite Teile der Bevölkerung des Landstrichs aufzubegehren. (405) Dorfgemeinschaften schlossen sich in einem "Verteidigungskomitee von Cabaneros" zusammen und organisierten Demonstrationen.(406) Die Bewohner der Region führten für ihren Widerstand vor allem ökologische Argumente an. Sie verwiesen auf die Auswirkungen von Tiefflügen und Lärmbelastung auf Menschen, Tiere und Landschaft und gaben zu bedenken, daß damit ein in Europa einmaliges Wild- und Vogelreservat zerstört werde. (407) Ökologische Studien und Empfehlungen aus dem Europaparlament veranlassten das Ministerium schließlich, von der Anlage des Truppenübungsplatzes in Cabaneros Abstand zu nehmen. Im Juli 1988 konnte die Junta von Castilla-La Mancha, die gemeinsam mit den Bürgern der Region gegen das Vorhaben opponiert hatte, das Gelände zum Naturschutzreservat erklären.

Das Verteidigungsministerium beharrte weiterhin auf der Dringlichkeit eines neuen Übungsgeländes für die spanische Luftwaffe mit der Begründung, für Übungsflüge der soeben aus den USA beschafften F-18-Kampfflugzeuge und den Einsatz von Bewaffnung mit großer Reichweite sei der Flugplatz im nordspanischen Bardenas Reales zu klein.(408) Als Alternative wählte man ein Cabaneros benachbartes Gelände, das diesem Naturreservat an ökologischer Sensibilität kaum nachsteht: das Gebiet um Anchuras, einem der abgeschiedensten Dörfer Spaniens, eingebettet in eine urwüchsige mediterrane Flora und Fauna, in der sich größere Kolonien von in Europa vom Aussterben bedrohten Vogelarten erhalten haben.(409) Nachdem das Gebiet im Juli 1988 per Ministerratsbeschluß und Dekret zum "Interessensgebiet für die Nationale Verteidigung’ erklärt worden war, bemühte sich das Ministerium vergeblich um den Aufkauf der für das Übungsgelände erforderlichen 7.000 Hektar Land. Die 500 Einwohner von Anchuras widersetzten sich den Militärplanungen mit Unterstützung aller in der Gemeindeversammlung vertretenen politischen Parteien! (410), wobei der konservative "Partido Popular" die Mehrheit in der Gemeindevertretung stellte. Unterstützung erhielt Anchuras bei zahlreichen Protestveranstaltungen durch Solidaritätserklärungen anderer Gemeinden, durch Auftritte von Liedermacherinnen, KünstlerInnen und Intellektuellen und durch die Ökologie-und Friedensaktivisten aus den umliegenden Städten und Madrid.(411) Friedenscamps, Feste und Rockkonzerte gegen den Schießplatz wurden zur Dauereinrichtung. Delegationen ausländischer Friedensorganisationen kamen im September 1989 zum Erfahrungsaustausch zusammen (412), darunter Aktivistlnnen aus dem französischen Larzac, in dem sich Bauern und Friedensbewegung in den siebziger Jahren erfolgreich mit gewaltfreiem Widerstand der Einrichtung eines Militärgeländes widersetzt hatten.(413) In der Tradition des .Larzac-Widerstands verstand sich auch das Friedenszentrum "Casa de la Paz", das in Anchuras mit Unterstützung zahlreicher Friedensorganisationen eingerichtet wurde.

In den Begründungen der Betroffenen gegen das Militärgelände überwogen die ökologischen Argumente. Einzelne Protagonisten, wie zum Beispiel der Priester Rafael Galán de la Flor, brachten auch explizit pazifistische Argumente vor.(414) Außerdem beschrieb der Priester einen tiefgreifenden Vertrauensverlust der Anchuraner gegenüber den Madrider Politikern wegen ihres Vorgehens über die Köpfe der Bürger hinweg. Die Irreführung und Vorenthaltung von Fakten durch die Regierung hielt er mit einem demokratischen Anspruch für unvereinbar.

Der Widerstand der Dorfbewohner war in erster Linie vom Willen getragen, Lebensgrundlagen und die Natur vor der Zerstörung zu bewahren. Entsprechend analysierte das Friedenszentrum von Anchuras:..
"Ein antimilitaristischer Kampf? Noch nicht. Wie auch im Larzac zu Anfang, offenbaren auch hier die Slogans im wesentlichen den Willen, das eigene Gelände zu verteidigen: ’Nein zum Schießplatz’ (’No al campo de tiro’), ’Falken statt Flugzeuge’ (’halcones no aviones’). Das hindert den Bürgermeister aber nicht, auf die Frage, wo der Schießplatz hin soll, zu antworten: ’Nirgendwohin’." (415)
Die Repräsentanten von Anchuras erhielten im September 1989 die Unterstützung von hundert Ökologiegruppen aus verschiedenen EG-Ländern. Gemeinsam appellierte man an die Europäische Kommission, die Umwandlung von Anchuras in militärisches Übungsgelände zu verhindern, weil dies gegen die Europäische Direktive 409/79 über den Schutz bedrohter Vogelarten verstoße.(416)

Der Zugriff des Verteidigungsministeriums auf das Gebiet um Anchuras rief schließlich auch auf übergeordneter parlamentarischer Ebene Dissens hervor. Der verlief quer zu den parteipolitischen Affinitäten. Christdemokratische und konservative Abgeordnete kritisierten die Militärplanungenebenso wie das Linksbündnis "lzquierda Unida".(417) Dieser Dissens ist in einer Vielzahl von parlamentarischen Anfragen und Aussprachen dokumentiert. (418) Die CDS-Fraktion forderte schließlich die Einrichtung einer parlamentarischen Kommission zur Prüfung der Notwendigkeit des Militärgeländes und appellierte an die Regierung, definitiv sicherzustellen, daß alle auf spanischem Gebiet errichteten Übungsplätze ausschließlich von spanischem Militär genutzt werden dürfen. (419)

Als im Sommer 1989 Soldaten der Luftwaffe auf einem vom Ministerium übernommenen, am Rande der Gemarkung von Anchuras gelegenen Grundstück ein Camp errichteten, radikalisierte sich der Protest. (420) Wiederholt setzten sich die Dorfbewohner bei Blockaden von Militärkonvois auch gewalttätigen Übergriffen der "Guardia Civil" aus. (421) Presse, Funk und Fernsehen entsandten schließlich Sonderkorrespondenten, so daß der Widerstand in Anchuras überregional wahrgenommen und über Wochen hin zu einem zentralen innenpolitischen Thema wurde.(422) Der Widerstand bewirkte den Abzug des Militärs noch im Sommer 1989. Das Verteidigungs-ministerium hielt offiziell weiterhin am Militärstandort Anchuras fest (423), aber unter der neuen Führung von Verteidigungsminister Garcia Vargas wurde das Vorhaben nicht weiter vorangetrieben.

Im französischen Larzac entstand der Widerstand Hertle zufolge in einem klassischen bäuerlich-konservativen Milieu, wobei Teile der katholischen Kirche und ihnen nahestehende Gewaltfreie zum Widerstand ermutigten’’. (424 Diese Charakterisierung trifft in etwa auch auf Anchuras zu. Der Widerstand der kastilischen Bauern weist in seinen Wesenszügen weitere Parallelen zu dem französischen Pendant auf: Er verkörperte nicht nur den Kampf von Dorfbewohnern um ihre eigene Existenz, sondern entwickelte sich darüber hinaus auch zum "Widerstand gegen die Militarisierung des Raumes und der Wirtschaft, gegen den Zentralismus, der den Regionen von aussen Entscheidungen aufzwängen will, gegen ’technische Sachzwänge’, die Vorrang vor der Bewahrung der Lebensqualität beanspruchen." (425) Aufgrund hoher "sozialer Dichte" (426) gelang es einer zahlenmäßig kleinen Bevölkerungsgruppe, besonders zähen Widerstand gegen militärische Ressourcenaneignung zu leisten. Anders als etwa die Protagonistlnnen der gegen die NATO-Mitgliedschaft, US-Basen und die Wehrpflicht ankämpfenden Friedensbewegung durchdrangen sie das gemeinsame Problem gedanklich und argumentativ nicht so intensiv, behielten jedoch einen "langen Atem" und erzielten als geschlossene und "gestandene" Gruppe starke öffentliche Aufmerksamkeit.

Anchuras wurde für viele zu einem "zweiten Larzac", zu einem Symbol des erfolgreichen Aufbegehrens der "kleinen Leute" gegen die übergeordneten Politiker und Behörden der Madrider Zentrale und zum prominentesten Beispiel für Störungen militärischer Planungen im demokratischen Spanien. Aber an zahlreichen weiteren Orten regten sich Widerstände gegen Belastungen, die von militärischen Einrichtungen und dem Übungsbetrieb der Armee ausgingen.

Proteste gegen militärischen Übungsbetrieb
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Anmerkungen:
403 Vgl dazu ausführlich La Puva y ei General 51, marzo-abril 1987, S. 19ff.
404 Vgl. Cavero (1990), S.290. Zudem versuchte die Parlamentsfraktion von "Izquierda Unida" / "Ezkerra Catalana" über den Kongreß eine Schließung des Übungsgeländes zu erwirken. Vgl. BOCG, Serie D, núm. 191, 20.5.1988, S. 10335; DSC, Comisiones, III Legislatura, núm. 296,7.6.1988, S. 10071.10092.
405) Zu dieser Entscheidung und zu den Auseinandersetzungen um Cabafieros vgl. ausführlich Lechado (1989), 5. lOf.
406) Schon die ersten Protestkundgebungen, zu denen sich etwa 5.000 Menschen versammelten, setzten sich überwiegend aus Einwohnern der betroffenen Kommunen zusammen. Als sie Unterstützung von der Ökologie-Bewegung aus Madrid sowie aus den umliegenden größeren Städten Toledo, Talavera und Ciudad Real erhielten, legten die Dortbewohnerinnen Wert darauf, sich nicht von zugereisten "Politaktivisten" dominieren oder parteipolitisch vereinnahmen zu lassen, An Demonstrationen ließen sie nur Menschen mit inhaltlich aussagekräftigen Spruchbändern und ohne Parteifahnen teilnehmen.
407) Diese Einschätzung wurde auch von einer offiziellen Studie des Ministeriums für öffentliche Arbeiten (MOPU) bestätigt. Die Studie der Generaldirektion für Umweltschutz wandte sich ausdrücklich gegen den Schießplatz an dieser Stelle und setzte sich damit in Widerspruch zum Verteidigungsministerium. Zur Entwicklung des Widerstands in Cabaneros vgl. Spiegel-Schmidt (1983). Vgl. auch Cavero (1990), S.291f.
408 Vgl. El Pais, 28.2.1988.
409) Zur ökologischen Problematik und den Auseinandersetzungen um Anchuras vgl. ausführlich Lechado (1989). Vgl. auch Boletín Informativo de la Casa de la Paz de Anchuras núm. 1, marzo 1990, S. 8.
410) Eine Ausnahme bildeten die beiden Abgeordneten des PSOE. Sie mußten ihre Mandate niederlegen, als bekannt wurde, daß sie vom Verteidigungsministerium dafür bezahlt wurden, die Dorfbewohner zum Verkauf ihres Bodens an das Militär zu überreden. Vgl. zu diesem Skandal die Berichte in ’EI Pais und ’EI Mundo’ am 26.10., 27.10. und 5.11.1990.
411 VgL El Pais, 22.6.1989.
412 Vgl. Boletín informativo dela in Casa de la Paz de Anchuras núm. 1, marzo 1990, S. 1.
413 Zum Widerstand der Bauern im Larzac vgl. die ausführliche Analyse von Wolfgang Hertle: Larzac 1971-1981: Der gewaltfreie Widerstand gegen die Erweiterung eines Trupenübungsplatzes in Süd-Frankreich. (1982)
414 Er beschrieb nicht nur die ökologischen Folgen und die Gefahren, die der militärische Flugbetrieb im Zusammenhang mit dem nahegelegenen Atomkraftwerk Valdecaballeros mit sich brächte, sondern gab ausserdem zu bedenken, daß der Bau weiterer Schießplätze der weltweiten Entspannung zuwiderliefe. Die Vorbereitung auf kriegerische Auseinandersetzungen sei mit dem Fortschritt der Menschheit unvereinbar, und es sei für die Gesellschaft auch ökonomisch vorteilhafter, Bedrohungen wie wirtschafliche und kulturelle Armut und schlechte Ausbildungsbedingungen von den Menschen abzuwenden, als diese gegen "imaginare Feinde" zu verteidigen. Rafael Galán de la Flor: Anchuras - razones de una lucha, im El Pais, 3.3.1989.
415 Boletín lnformativo de la Casa de la Paz de Anchuras, núm. 1, marzo 1990, S.3.
416 Vgl, El Pais, 21.7. und 23.7.1989.
417 Vgl. die Anfrage der „Agrupación de Diputados de la Democracia Cristiana“ in BOCG núm. 236, III, Legislatura, 21.10.1988, S. 12237f.
Der konservative Senator Lara Alen (AP) beispielsweise warf Minister Serra im Verteidigungsausschuß des Senats mangelndes Gespür für die ökologische Sensibilität der Region vor. Er kritisierte unter anderem die Geheimhaltungs- politik des Ministers und dass er sich einem Dialog mit den betroffenen Bürgern von Anchuras entzogen habe. Vgl die mündlichen Anfragen am 6.10.1988. Cortes Generales, Diario de Sesiones del Senado, III. Legislatura, Comisiones, 122, S.3 und S. 16ff, sowie die Antworten des Verteidigungsministers, S. 7f
418 „ Kritisiert wurde neben der Art und Weise, wie das Verteidigungs-ministerium mit den betroffenen Kommunen umgegangen war, dass das Ministerium keine Auskunft darüber geben wollte, ob und in welchem Ausmaß das geplante Übungsgelände auch Luftwaffenverbänden anderer NATO-Länder zur Verfügung gestellt werde. Vgl. die schriftliche Anfrage des Abgeordneten Igliesias Argüelles 184/016634, in: BOCG, Serie D, núm 289, 16.2.1989, S.13797 und die Antwort 184/016634 in: BOCG, Serie D, núm. 305,16.3.1989.
419 Vgl. BOCG, Serie D, núm. 249,16.11.1988, S. 12587f.
420 Gräben wurden ausgehoben, um den Jeeps die Zufahrt zu verwehren, und Militärangehörige wurden daran gehindert, das Gebiet des Dorfes zu betreten. Mit Sitzblockaden sorgten Dorfbewohner dafür, daß Soldaten nach dem Zechen im Nachbardorf häufig zu Fuß zum Camp zurückkehren mußten.
421 Vgl. El Pais, 10.5.1989.
422 Vgl. dazu die Zusammenfassung von Cavero (1990), 8.291
423 Vgl. die Angaben des Ministeriums gegenüber El Pais, 7.7.92.
424 Hertle (1982), S.249.
425 Hertle (1982), 5.249.
426 Hertle (1982), S. 252 versteht darunter "die räumliche Nähe, die gemeinsame Bedrohung der Betroffenen von außen, die gemeinsam vollzogenen Bewußtseins- und Lernprozesse und die Möglichkeit (...)‚ in direkter Demokratie kollektiven Willen zu bilden".-

*Aus:
Martina Fischer: Spaniens ungeliebtes Militär.
Legitimitätsdefizite: Öffentliche Meinung, Protestbewegungen und die Reaktionen des Militärapparats (1982-1992)
1996, Vervuert Verlag Frankfurt/Main
hier S. 168 - 173
Inhaltsverzeichnis zum Buch:
https://external.dandelon.com/download/attachments/dandelon/ids/DE004798F070F8FB60649C12577A500251BD7.pdf