Wolfgang Hertle
Kein AKW mit unserem Geld (2)
Stromrechnungsboykott- 35 Jahre später: Entscheidung für nachhaltiges Engagement
On-line gesetzt am 10. Januar 2014
zuletzt geändert am 28. Oktober 2023

Es ist selten und umso schöner zu erleben, wenn eine gewaltfreie Kampagne, sieben und dreissig Jahre nach ihrem Beginn, darin engagierte Menschen immer noch zu lebhaftem Austausch zusammenbringt.Der "Strobo"(Stromzahlungsboykott) in Hamburg war 1977 als Widerstand gegen die Produktion von Atomenergie durch die HEW (heute Teil von Vattenfall) sowie das geplante Atommüllzentrum Gorleben ausgerufen worden. ( 1)

Wie später in anderen Städten (2) hatten einige hundert Haushalte, Wohngemeinschaften und kleinere Betriebe aus Protest gegen den Bau des AKW Brokdorf und der geplanten Atommüll-Anlagen in Gorleben zehn Prozent ihrer Stromrechnung zurückbehalten, bzw. auf ein gemeinsames Treuhandkonto einbezahlt.

Die Auseinandersetzung fand in der Öffentlichkeit und in Gerichtssälen statt, der Ansatzpunkt war nicht mehr der AKW-Bauzaun sondern die unmittelbare Verbindung der Stromkonsumenten mit dem Atomenergie-Produzenten.

Während der Kampagne hatten sich Untergruppen z.B. in Stadtteilen gebildet, fanden direkte Aktionen wie die mehrstündige Besetzung einer Strassenkreuzung vor der HEW-Zentrale in derHamburger City Nord statt oder die Beteiligung einer Strobo-Bezugsgruppe an der Platzbesetzung der Tief-Bohrstelle 1004 (Freie Republik Wendland) im Mai 1980. Danach verloren sich viele Aktive aus den Augen, andere nutzten ihre Kontakte z. B. beim Volkszählungsboykott, einige trafen sich im Januar 2014 wieder. ...

Nach Beendigung der Strobo-Kampagne war von den BoykotteurInnen ein größerer Teil des einbehaltenen Geldes nicht vom Treuhandkonto zurückgefordert worden. Dreissig Jahre mussten abgewartet werden, bis die Frist abgelaufen war, innerhalb derer solche Rückforderungen möglich waren.

Am 9. 1.2014 trafen sich ehemalige Strobo-Aktivisten um über die Verteilung der verbliebenen Summe zu beschließen.

Hier eine Zusammenfassung der Beschlüsse vom Treuhänder, 10.1.2014:

"Liebe Strobos,
ich danke Euch für die rege Teilnahme an unserem gestrigen Treffen und die konstruktive Diskussion, die zu einem nahezu einstimmigen Ergebnis über die Verteilung der 15.000,00 € kam. Es hat mich weiter gefreut, viele von Euch wieder zu treffen und ich hatte den Eindruck, dass es Euch ähnlich erging. Es war wie ein Klassentreffen nach mehr als 30 Jahren. Ich möchte nochmals das Ergebnis der Abstimmung auf diesem Wege allen Beteiligten mitteilen:

1. Das Projekt Kebap (Kultur Energie Bunker Altona Projekt) soll einen Betrag von 4.000,00 € erhalten.

2. Die Gemeinde Provincial / Kolumbien erhält 3.000,00 €;

3. Das Projekt VIVA CON AGUA CIUDAD BOLIVAR erhält ebenfalls 3.000,00 €;

4. Der Förderverein wri war resisters ´ international e.V. erhält 3.000,00 €;

5. Der Hamburger Flüchtlingsfonds e.V. erhält 2.000,00 €.

Damit ist der Strobo-Topf verteilt. Ich werde die Begünstigten auch noch gesondert anschreiben, sofern sie nicht bereits in unserem Verteiler enthalten sind. Das Geld werde ich in den nächsten Tagen anweisen. Diejenigen Antragsteller, die leider nicht bedacht werden konnten, bitten wir um Verständnis, da die Mehrheit der anwesenden sich dafür entschieden hatte, doch nennenswerte Beträge zu verteilen.

Ich würde mich freuen, den einen oder anderen Strobo bei der einen oder anderen Aktion wieder zu treffen.

Ich grüße Euch alle recht herzlich
Dirk"

Beeindruckend war dabei die Intensität des Austausches zwischen Menschen, die sich zum Teil Jahrzehnte lang nicht mehr gesehen hatten und immer noch so viele Gemeinsamkeiten im aktuellen Engagement fanden. Das drückte sich auch in den Vorschlägen und der Diskussion über zehn unterstützungswürdige Projekte aus. Es bleibt spannend, ob sich aus ersten Überlegungen, wieder gemeinsam gewaltfreie Aktionen zu organisieren. Wirklichkeit werden wird. Die Summe der Erfahrungen dieser Menschen, die zum Teil bereits das Berufsleben hinter sich haben, könnte zu spannenden neuen Aktionen mit Breitenwirkung führen, z.B. im Hamburger Hafen zum Thema Atomtransporte oder Rüstungsexporte oder auch zum Thema AKW in Brokdorf, wo immer noch Handlungsbedarf besteht..

Wolfgang Hertle

(1) Kein AKW mit unserem Geld (1)

(2) z.B.http://www.machtvonunten.de/lokales-hamm/205-kein-atomkraftwerk-mit-unserem-geld.html

Aus BBU-Magazin Nr. 2 /1978

Luise Schramm (Bad Schandau) hat eine tolle Dissertation über die Arbeit der HIKMuGA verfasst:
Evangelische Kirche und Anti-AKW-Bewegung. Das Beispiel der "Hamburger Initiative kirchlicher Mitarbeiter und Gewaltfreie Aktion" im Konflikt um das AKW Brokdorf 1976-1981. Göttingen 2018.