Freispruch für Aktion zivilen Ungehorsams im Kampf für Klimagerechtigkeit
Freispruch für den Angeklagten Ernst-Ludwig Iskenius
On-line gesetzt am 20. November 2022
zuletzt geändert am 1. November 2023

Hausfriedensbruch gegen RWE nicht nachweisbar

Am 08.11.2022 ging vor dem Landgericht Mönchengladbach der am 21.10.2022 unterbrochene Prozess gegen den „Lebenslaute“-Aktivisten und Arzt Ernst-Ludwig Iskenius weiter.

19. November 2022

Dieser war erstinstanzlich zu 110 Tagessätzen Geldstrafe wegen Unterstützung eines Aktionskonzertes der Lebenslaute im Tagebau Garzweiler von RWE am 15.08.2021 verurteilt worden.

Dabei hatten Staatsanwaltschaft und Richter ausdrücklich die „Unbelehrbarkeit“ des Angeklagten betont.

Schon zu Beginn des Berufungsprozesses gab es eine kleine Pointe.

Weil eine der Schöffen nach Beendigung des ersten Prozesstags zu einem Lied der Zuhörerinnen im Gerichtssaal geklatscht hatte, beantragte die Staatsanwaltschaft Befangenheit.

Das Gericht wies diesen Vorwurf allerdings zurück.

Die Aussage des diesmal vor Gericht erschienenen Zeugen aus dem Unternehmen RWE (aufgrund seiner Abwesenheit hatte der Prozess vertagt werden müssen) lautete: der gesamte Tagebau sei zum Zeitpunkt der Lebenslaute-Aktion im August 2021 ringsherum mit einer mindestens schulterhohen Umfriedung (Umwallung und Zäune) versehen gewesen.

Das war allerdings wenig überzeugend.

Der Angeklagte entgegnete, dass er sich an ein solches Hindernis beim Einstieg nicht erinnern könne und auch die anderen in der Musikgruppe es nicht beseitigt hätten, sondern ohne Hindernis das Gelände hätten betreten können.

Dieselbe Erfahrung hatte offensichtlich auch einer der Schöffen sowie andere Personen in diesem Jahr, also Monate nach der Aktion, gemacht.

Die Staatsanwaltschaft war der Ansicht, auf eine vollständige Umfriedung komme es beim Hausfriedensbruch nicht an, sondern nur auf die Tatsache, vorsätzlich das Gelände betreten zu haben.

Das gab dem Angeklagten erneut die Möglichkeit, seine Teilnahme an der Aktion zivilen Ungehorsam der Gruppe Lebenslaute mit der Situation rechtfertigenden Notstands angesichts der Klimakrise zu begründen.

Dabei wies er darauf hin, dass in solch zugespitzten bedrohlichen Situationen das Vorsorgeprinzip zu gelten hat, worauf das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 29.04.2021 hingewiesen hat.

Als Arzt sei er hier besonders gefordert und dem hippokratischen Eid verpflichtet.

Die Ärzteschaft habe in der Vergangenheit zu Unrecht und Gewalt zu oft geschwiegen – das sei bei der heraufziehenden Klimakatastrophe mit schon jetzt vielen unschuldigen Opfern, besonders im globalen Süden, nicht mehr zu akzeptieren.

Widerstand sei notwendig, um aufzurütteln und Druck auf politische Entscheidungsträger auszuüben.

Denn für rationale Argumente seien sie taub.

Das Berufungsgericht hob das Urteil von 110 Tagessätzen auf – wie der Richter anmerkte, nicht mit der Begründung, die der Angeklagte sich gewünscht hätte, sondern, weil eine vollständige Umfriedung des Tagebaus nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte.

Allerdings würdigte er das vorgetragene Argument des Angeklagten, sich in einer Situation des rechtfertigenden Notstands zu befinden, als besonders glaubwürdig für seine Aussage bezüglich der fehlenden Umzäunung.

Insgesamt blieb das Gericht mit seiner Entscheidung bei der vom OLG Düsseldorf im September vorgegebenen Linie.

Allerdings ist das Gericht (Strafrichter und Schöffen) offensichtlich bis an deren Grenzen zugunsten dieser besonderen Protestform gegangen.

Dementsprechend gab es ein langes Gesicht bei der Staatsanwaltschaft, die wortlos aus dem Gerichtssaal eilte, während der Freigesprochene und die über 20 Unterstützer und Unterstützerinnen außerhalb des Gerichtsgebäudes jubelten und Ernst-Ludwig Iskenius mit einem Ständchen bedachten.

Dem Vernehmen nach soll die Staatsanwaltschaft gegen diesen Freispruch in Revision gehen wollen, so dass es durchaus zu einer Neuauflage eines Strafprozesses kommen könnte.

Eine „Eigenbeschreibung“:

„Unter dem Namen LEBENSLAUTE engagieren sich seit 1986 bundesweit Musiker_innen, einmal jährlich in Chor- und Orchesterstärke, dazwischen auch in kleineren Ensembles regional.

Als offene Musik- und Aktionsgruppe bringen wir überwiegend klassische Musik gerade dort zum Klingen, wo dies nicht erwartet wird: auf Militärübungsplätzen und Abschiebeflughäfen, vor Atomfabriken und Raketendepots, in Ausländerbehörden und an anderen menschenbedrohenden Orten.

Bei der Wahl unserer Konzert-Orte lassen wir uns nicht durch herrschende Vorschriften einschränken.

Im Gegenteil: Lebenslaute-Aktionen suchen die politische Konfrontation durch angekündigten und bewussten Gesetzesübertritt (Zivilen Ungehorsam): Blockaden, Besetzungen, Entzäunungen, Betreten verbotener Orte. Seriöse Konzertkleidung unterstreicht unser konzentriertes Auftreten. Wo es geht, versuchen wir, lokale Protestbewegungen zu stärken.

Wir bereiten uns gemeinsam und intensiv auf unsere Konzert-Aktionen vor und handeln auch gemeinsam. Dabei bleibt es in der Verantwortung der Teilnehmenden, wie weitgehend sie sich einbringen. Wir entscheiden stets basisdemokratisch, die Bedürfnisse und Bedenken aller Teilnehmenden sollen berücksichtigt werden. Betroffene möglicher rechtlicher Konsequenzen unterstützt das Lebenslaute-Netzwerk gemeinsam mit anderen solidarisch.