Ziesar Schawetz
Pazifistische Gedanken zum Krieg in der Ukraine
On-line gesetzt am 23. März 2022

Die Ablehnung bewaffneter Gewalt bedeutet nicht notwendigerweise, dass Pazifisten sich gegenüber allen Kriegsparteien in jedem Fall «neutral» zu verhalten haben. Weder waren wir im Vietnamkrieg «neutral» noch in den bewaffneten Befreiungskämpfen in Afrika und Lateinamerika, sondern haben solidarisch Partei ergriffen für die Sache der Befreiungs- bewegungen. Das gilt analog auch für den Widerstand der Ukraine gegen die russische Invasion. 

Sofern es Pazifisten in einem Krieg überhaupt möglich ist, zu sagen, dass eine Seite im Recht ist und die andere im Unrecht, steht fest, dass die Ukraine Recht hat und Russland Unrecht. 
In der Frage der Schuld an diesem Krieg ist es unmöglich, unparteiisch zu sein und beiden Seiten dasselbe Maß an Verantwortung zuzuweisen. Die pazifistische Position ist vielmehr eindeutig:

Es ist die Ukraine, die grundlos militärisch angegriffen wurde, und es ist Russland, dessen Soldaten unter Verletzung des Völkerrechts in die Ukraine geschickt wurden, um Tod, Schrecken und Verwüstung zu verbreiten, nicht umgekehrt. Es ist die von Wladimir Putin befehligte russische Armee und Luftwaffe, die barbarische Kriegsverbrechen verübt, nicht das ukrainische Militär.

Nichts an den proklamierten Kriegszielen Russlands ist inhaltlich zu rechtfertigen oder formal legitimierbar, während die Legitimität der ukrainischen Gegenwehr außer Frage steht. Gleichlautende Appelle an beide Kriegsparteien, die Waffen ruhen zu lassen, leugnen diese Unterschiede und sind daher naiv und taugen nichts.

Pazifisten mögen die Entscheidung der ukrainischen Regierung, den Widerstand gegen die russische Invasion unter das vollständige Primat militärischer Mittel zu stellen, für falsch und selbstzerstörerisch halten. Es ist aber nicht unsere Aufgabe als Pazifisten, zu entscheiden, mit welchen Methoden die Ukraine ihren Kampf zu führen hat – ebenso wenig, wie wir es in den 60er und 70er Jahren als unsere Aufgabe betrachtet haben, den Befreiungsbewegungen im globalen Süden vorzuschreiben, wie sie zu kämpfen hätten. Appelle an die ukrainische Regierung, sie möge doch bitte soziale Verteidigung praktizieren, sind fromm – aber nichts wert.

Aus dieser Feststellung folgt jedoch keineswegs, dass es unsere Aufgabe wäre, Waffen in die Ukraine zu liefern oder den militärischen Widerstand gut zu heißen. Unsere Solidarität gilt der Sache des ukrainischen Widerstands, nicht der Anwendung militärischer Methoden. 
Ebenso wenig teilen wir das von der ukrainischen Staatsführung kultivierte nationalistische Pathos und die Heroisierung kriegerischer Gewalt.

Solidarität mit der Sache des ukrainischen Widerstands bedeutet, unterhalb der Schwelle militärischer Mittel alles zu tun und zu unterstützen, was dazu beiträgt, Russland die Fortsetzung des Krieges zu erschweren und letzten Endes zum vollständigen Rückzug aus der Ukraine zu veranlassen. Das erfordert den vollen Einsatz des von Friedensforscher:innen hinlänglich beschriebenen Arsenals gewaltloser Sanktionen auf internationaler und nationaler Ebene:

 Es ist richtig, dass die Staatengemeinschaft Sanktionen gegen Russland verhängt hat. Diese gilt es zu verschärfen mit dem Ziel, den Aggressor so weit wie möglich zu isolieren – politisch und wirtschaftlich –, so dass er auf Dauer die ökonomische Basis für seine Kriegführung verliert.
 
 Alle Möglichkeiten, Russland und sein politisches Führungspersonal vor internationalen Gerichtshöfen zur Verantwortung zu ziehen, müssen genutzt werden. 

 Alle Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet müssen sofort gestoppt werden. 
Waffenlieferungen verlängern den Krieg und vervielfachen unnötig die Zahl der Kriegsopfer – Tote, Verletzte, Flüchtende. Sie verstärken die Illusion, Krieg sei gewinnbar und es könne eine militärische Lösung des Konflikts geben. Sie erhöhen zudem die Gefahr einer Ausweitung des Krieges auf waffenliefernde Länder. Die einzigen Profiteure von Waffenlieferungen sind diejenigen, die sie herstellen und verkaufen. 

 Deutschland muss unverzüglich einen Boykott russischer Energielieferungen beschließen und durchsetzen. Dazu bedarf es des verstärkten Drucks aus der Zivilgesellschaft. 

 Die humanitäre Hilfe für Menschen, die vor dem Krieg fliehen, muss verstärkt und international koordiniert werden. 

 Sowohl in der Ukraine als auch in Russland leisten mutige Menschen gewaltlosen und zivilen Widerstand gegen die Besatzer und den Krieg: In russischen Städten gab bzw. gibt es zahlreiche Demonstrationen gegen die Invasion. Journalisten intervenieren gegen die Verbreitung von Kriegspropaganda, kündigen ihre Arbeit oder unterlaufen die staatliche Zensur. Aus der Ukraine werden Fälle berichtet, wie Zivilisten mit ihren Körpern russische Militärfahrzeuge am Weiterfahren gehindert und Panzerbesatzungen zum Aufgeben gebracht haben. Solche Ansätze und Beispiele von zivilem Widerstand müssen unbedingt unterstützt werden. Alle Möglichkeiten, das Wissen über mögliche Formen von gewaltlosem Widerstand und sozialer Verteidigung zu verbreiten, müssen genutzt werden. 

 Wir pochen darauf, dass jeder Mensch das Recht auf Kriegsdienstverweigerung hat – nicht nur bei uns, sondern gerade jetzt in der Ukraine und in Russland. Unsere tätige Solidarität gilt allen, die von diesem Recht Gebrauch machen. 

Pazifisten sind nicht naiv. Wir wissen, dass es keine Garantie für den Erfolg
gewaltlosen Widerstands und sozialer Verteidigung gibt. Naiv ist hingegen, wer leugnet, dass es eine solche Erfolgsgarantie auch nicht für militärischen Widerstand gibt. Und wer ignoriert, dass ein verlorener Krieg ungleich mehr menschliches Leid und Zerstörung verursacht als ein gescheiterter gewaltloser Widerstand.

Ziesar Schawetz ist Autor und Übersetzer anarchistischer und pazifistischer Texte und Mitglied der Internationale der Kriegsdienstgegner:innen (IDK) in Berlin.


Ergänzende Hinweise

Liebe Leute

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