Wolfgang Hertle
Augsburger Kriegsdienstverweigerer im Gefängnis in Barcelona
Gewaltfreie Aktion erregt Publizität
On-line gesetzt am 24. August 2017
zuletzt geändert am 14. Dezember 2023

Am 27. September 1972 wurde in Barcelona Wolfgang Kroner, Mitglied der „Gewaltfreien Aktion Augsburg" und der Redaktion der Zeitschrift „Graswurzelrevolution" in Barcelona verhaftet, als er seine Solidarität mit den 8000 politischen und sozialen Gefangenen und davon insbesondere mit den 245 (neueste Zahl) Kriegsdienstverweigerern durch eine Aktion demonstrierte. Er hatte sich auf den „Ramblas“, einer der belebtesten Straßen Barcelonas auf eine Telefonzelle gestellt und sich an ein Verkehrsschild gekettet. Auf Plakaten, die er sich umgehängt hatte, verlangte er (auf Spanisch): „Kein Spanien in die EWG ohne Meinungsfreiheit", „Ein Gesetz und Freiheit für die spanischen Kriegsdienstverweigerer" und „Freiheit für Pepe und Jordi’. In kurzer Zeit hatte sich eine Menschenmenge von ungefähr 500 Personen angesammelt, durch die sich die Guardia Municipal, die städtische Polizei, drängen musste, um die Aktion zu beenden. Pfiffe und Buhrufe begleiteten ihren Versuch, zunächst die Schlüssel für die Schlösser zu finden, mit denen sich Wolfgang Kroner angekettet hatte, und erst recht, als sie ihn von der Kabine herunterholen wollten, ohne die Kette zu entfernen. Erst nach 40 Minuten konnten die Ketten durchgeschnitten werden. Es gelang der Polizei auch nicht, die Menschenmenge zum Auseinandergehen zu bewegen, obwohl sie willkürlich drei junge langhaarige Zuschauer verhafteten, die zufällig die Szene fotografierten. Darunter befand sich ein portugiesischer Staatsbürger, offensichtlich ein Funktionär, der nach einem Anruf bei seiner Botschaft sogleich freikam, sowie ein Deutscher aus Göttingen, der zunächst geglaubt hatte, die Szene gehöre zu einem Volksfest.

Er wurde mit Elmar R., einem anderen Deutschen und ebenfalls Mitglied der „Gewaltfreien Aktion Augsburg", erst nach 72 Stunden freigelassen. Diesem war es jedoch gelungen, einen Film von der Aktion in seinem Stiefel aus dem Polizeigefängnis heraus zu schmuggeln. Offensichtlich war er für den Kopf der Organisation gehalten und in der Hoffnung entlassen worden, er würde die spanischen Freunde kontaktieren, mit denen die Aktion vorbereitet worden war. Obwohl er dies natürlich peinlichst vermied (denn unsere spanischen Freunde sind ja wesentlich stärker gefährdet) wurde er - gar nicht diskret - bis nach Paris überwacht.
Bevor Wolfgang Kroner mit der „Grünen Minna" ins Polizeigefängnis gebracht wurde, drohte ihm ein Offizier mit Schlägen, wenn er nicht aufhöre „Peace-Zeichen(„V,) zu machen denn er wisse, dass das bedeute: „Wir sind alle solidarisch."

Kroners Rechtsanwältin teilte uns mit, dass ein Militärgericht seinen Prozess auf Ende Oktober 1973 (!)angesetzt habe, was eine Untersuchungshaft von einem Jahr bedeutet. Am 16. Oktober 1972 wurde die Anklage vor dem Gericht für „öffentliche Ordnung" (politische Delikte) in Madrid erhoben, wo ihm vorgeworfen wird, er sei „mit der Absicht auf spanisches Gebiet gekommen, Protesttaten zugunsten spanischer Kriegsdienstverweigerer zu realisieren, einer gleichgesinnten Organisation anzugehören, und seine Idee verwirklicht habe, indem er auf eine Telefonzelle stieg, die Schlüssel vorsorglich ins Meer geworfen (!) habe ....sich eine Menge ansammelte und die Polizei die Ketten zersägte und ihn befreite". Da „solche Taten den Charakter eines Delikts haben, das den Frieden und die Unabhängigkeit des Staates gefährden, gemäß Artikel 132 des Strafgesetzbuches, ergeben sich Indizien von Kriminalität gegen W. Kroner..“ Laut Artikel 132 des spanischen Strafgesetzbuches drohen sechs bis zwölf Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von 10 000 bis 250 000 Peseten.

Wolfgang Kroner ist von Natur aus kein Masochist, daher soll hier versucht werden, die Beweggründe zu dieser Aktion, ihre Vorgeschichte, Vorbereitung sowie ihren Stellenwert darzustellen.

Zur Bedeutung des Militärs und der Kriegsdienstverweigerung in Spanien
Im faschistischen Spanien stellt die Armee den Stützpfeiler Nummer 1 des Regimes dar, daher ist es verständlich, warum Kriegsdienstverweigerung als schweres „kriminelles" Delikt gilt. Sie wird entweder als Desertion oder „militärischer Ungehorsam" mit wiederholten Gefängnisstrafen bis zum Ende des wehrpflichtigen Alters bestraft, das heißt, bis der Mann 38 Jahre alt ist. Nach der zweiten Verurteilung wird er im Falle einer erneuten Weigerung in eine Strafkolonie in der spanischen Sahara gebracht, meist nach El Aiun. Bisher nahmen vor allem Angehörige von Religionsgemeinschaften, welche Militärdienst absolut verbieten, solche Strafen auf sich, die Mehrzahl der z. Z. 245 gefangenen Kriegsdienst-verweigerer sind Mitglied der „Zeugen Jehovas“.

Pepe (Jose Luis Beunza Vasquez) war der erste Katholik, der seine gewaltfreie Haltung bewusst als eine politische verstand und die Gefängnisstrafe auf sich nahm, um die Anerkennung der Kriegsdiensverwei - gerung in Spanien aus allen Arten von Gewissensgründen zu erreichen. Pepe, der heute 25 Jahre alt ist, hatte in den letzten vier Jahren vor seiner Verweigerung während seiner Ausbildung zum Agraringenieur, alles versucht, um das Problembewusstsein für politische und religiöse Kriegsdienstverweigerung zu fördern. So hielt er unter anderem in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Studentengewerkschaft Seminare ab und baute in Madrid, Barcelona und Valencia Solidaritätskomitees auf. Zuletzt besuchte er Kriegsdienstverweigerer-Gruppen in der Schweiz, Belgien und Frankreich, um seine Aktion zu einer internationalen Kampagne werden zu lassen, die Zeugen Jehovas hatten ihre Verweigerung nie als politisch verstanden und daher auch keinen Wert auf Aufklärungsarbeit gelegt.

Pepe verweigert den Kriegsdienst
Am 12. Januar 1971, seinem ersten Tag in der Kaserne, weigerte sich Pepe, eine Uniform anzuziehen, worauf er vier Monate in Untersuchungshaft verbringen musste und am 23. April zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Ab 21. Februar begann eine Serie von internationalen Demonstrationen. Als erstes wurde in Paris die Eingangshalle des UNESCO-Gebäudes besetzt, in Bordeaux, Brüssel, London demonstrierten Gruppen ihre Solidarität vor Botschaften und Konsulaten. Am 21.2. war auch der Start des internationalen Marsches, der von Genf bis zum Gefängnis nach Madrid führen sollte.
Anfangs bildeten fünf Spanier, drei Holländer, zwei Schweizer, drei Franzosen und zwei Koordinateure den Kern der Marschgruppe, der sich streckenweise bis zu 180 Personen anschlossen. Während des 22 tägigen Marsches fanden Aufklärungsveranstaltungen, Demonstrationen vor spanischen Konsulaten und Empfänge bei fünf Bischöfen statt, alles begleitet von Presse, Rundfunk und Fernsehen. Am Ostersonntag, dem 12. April, bereitete man sich auf die schwierigste Wegstrecke, den Grenzübergang vor, indem in der Grenzstadt Bourg-Madame 600 Kriegsdienstverweigerer und Sympathisanten aus zehn Ländern (sogar Freunde aus den USA waren da) ein Fest feierten. Musik, Tänze und Freude entsprachen Pepes Wunsch „dass die Aktion eine Demonstration der Freude und der Liebe gegenüber allen Menschen sowie der Hoffnung auf eine bessere Welt ohne Krieg und Missbrauch aller Art werde".Am Nachmittag brachen die Demonstranten in drei Gruppen auf: Spanier und alle, die sie bis Valencia begleiten wollten, diejenigen, die nur bis zum nächsten spanischen Darf wollten, und der Rest, der sie bis zum Schlagbaum begleiten wollte. Nur die Spanier wurden eingelassen und sofort verhaftet. Die übrigen 150 Demonstranten besetzten die Grenzbrücke, wo sie ihre „Fiesta" fortsetzten, bis sie sechs Stunden später von der spanischen Polizei nach Frankreich geprügelt wurden. In der Anklage wurden für die spanischen Demonstranten Strafen von sechs Jahren für zwei der Kriegsdienstverweigerer und 18 Jahre für Gonzales Arias verlangt, der als „Rädelsführer" betrachtet wird. Gonzales Arias ist ein 46jähriger Schriftsteller und Vater von 6 Kindern und in Spanien als „Apostel der Gewaltlosigkeit" bekannt.

Am 20. Oktober 1968 hatte er selber ausprobiert, was er den Helden in seinem Roman „Der Mann mit dem Plakat" (L’homme à la pancarte, Editions Tschpu, Paris) hatte tun lassen: Er lief mit „Sandwich-“ Plakaten durch die Straßen Madrids, auf denen er freie Wahlen für das Amt des Staatspräsidenten verlangte. Wegen dieses „Anschlags auf die Staatssicherheit" wurde er zu 7 Monaten Haft und einer Geldstrafe verurteilt . In der Berufungsinstanz wurde er jedoch freigesprochen, weil „der Plakatträger, besessen von der fixen Idee, durch Gewaltlosigkeit utopische politische Veränderungen zu erreichen, nur seine Ansichten exzentrisch zur Schau gestellt habe. Die Würde der Nation aber stehe zu hoch über den extravaganten und zugleich abgegriffenen Ideen des Angeklagten, als daß sie davon berührt werden könnte."

Gesetzesinitiative zur Kriegsdienstverweigerung scheiterte
Als die Regierung 1970 einen Gesetzesentwurf zur Regelung der Kriegsdienstverweigerung vorlegte, dieser aber im Ständeparlament, der Cortes, abgelehnt wurde, griff ein internationales Solidaritätskomitee die „encartelados"-Idee von Gonzalo Arias wieder auf. Im Juni 1971 wurde in Madrid der Gesetzesvorschlag erneut vorgelegt. Aber erst, als der spanische Stabschef Diez-Alegria protestierend die Sitzung des Verteidigungsausschusses verließ, erfuhr man, wie reaktionär der Vorschlag gewesen war. Der Generalleutnant erklärte, daß die Regierung ein Gesetz habe schaffen wollen, das die Achtung vor den religiösen Überzeugungen Einzelner mit den allgemeinen Bürgerpflichten vereinbar machen sollte. Nach diesem Gesetz jedoch konnte eine Freistellung vom Dienst mit der Waffe nur in Friedenszeiten und nur von solchen Personen beantragt werden, die mindestens seit einem Jahr Mitglied einer vom Justizministerium amtlich anerkannten Religionsgemeinschaft waren und diese ihren Mitgliedern ausdrücklich den Dienst mit der Waffe untersagte. Anstelle des 15 Monate dauernden Militärdienst sollte ein dreijähriger Dienst ohne Waffen in der Armee geleistet werden. Nicht Anerkannte sollten zu nicht mehr als drei Jahren verurteilt, also nicht mehr bis zum Alter von 38 Jahren immer neu bestraft werden.

Nicht betroffen vom Gesetz wären also Katholiken und Protestanten, weil deren Kirchen den Kriegsdienst nicht ausdrücklich verbieten. In der Debatte des Verteidigungsausschusses waren abenteuerliche Vorschläge gemacht worden, wie der, Kriegsdienstverweigerer zu Staatenlosen zu erklären und sie im Kriegsfall vor die eigenen Linien zu schicken, um den Feind zum Einstellen des Schießens zu überreden. Generalleutnant Barroso erklärte, Kriegsdienstverweigerung sei in jedem Fall das Ergebnis der Wühlarbeit des internationalen Kommunismus und müsse daher wie ein Verbrechen bestraft werden. Der Militärkommandant von Madrid, General Garcia Rebull, meinte, mit diesem Gesetz werde das Ende des katholischen Spaniens eingeleitet. Wichtig ist jedenfalls, daß zwar die reaktionäre Vorlage zu Fall kam, aber bis heute die Mehrfachbestrafung für Kriegsdienstverweigerer weitergeht.

Solidarisierung mit Pepe
Am Tage der Verurteilung von Pepe wurden spanische Fremdenverkehrsbüros in Paris und New York gewaltfrei besetzt, und Ende Juli 1971 startete in Madrid die erste Serie von ‚encartelados’- Aktionen. Bis zum 22. August wanderten jeden Sonntag Zweiergruppen mit Plakaten durch die belebtesten Straßen, den Anfang machte Henk van den Boom (Holland) und Xavier (Spanien) mit dem Text: „Ganz Spanien kennt den Kriegsdienstverweigerer Pepe.“ Zunächst versuchten die Behörden, die beteiligten Spanier einzuschüchtern: „Das ist zwar erlaubt, aber man sollte nicht alles tun, was nicht illegal ist!" In der Folge jedoch ließ man den Holländern und Franzosen drei Tage Zeit, Spanien zu verlassen, die Spanier erhielten Geldstrafen.

Es folgten weitere Demonstrationen im Ausland: Bordeaux, London, Stockholm, Besancon, Toulouse, Oslo, Rom. Zu dieser Zeit kam Wolfgang Kroner zum ersten Mal in Frankreich ( ) direkt in Kontakt mit spanischen Kriegsdienstverweigerern, nachdem er in Deutschland zwar die .‚Pepe-Aufkleber" der DFG-IDK gesehen, aber wegen der mangelnden Erläuterung nicht verstanden hatte. Doch das persönliche Gespräch führte zu einem weit stärkeren Engagement.

Bei einem Treffen in Nijmwegen (Holland), beschlossen zwölf Franzosen, sechs Schweizer, vier Belgier, ein Amerikaner. neun Holländer, drei Österreicher und ein Norweger (bezeichnend das Fehlen der Deutschen!) eine Demonstration in Rom für Ende Oktober. Wichtig zu betonen ist, dass es sich um Vertreter kleiner aktiver Gruppen und nicht nationaler Verbände handelte (die aber im Einverständnis mit der War Resisters´International, WRI waren), die untereinander direkten, d.h. besseren Kontakt hatten, als es über zentrale Verbandswasserköpfe möglich ist. Die Demonstration in Rom fiel mit dem Ende der Bischofskonferenz im Vatikan zusammen, die benutzt werden sollte, um Druck auf das „katholische Spanien" auszuüben. So formierte sich in Rom, ein Demonstrationszug, geführt von 200 Personen in Gefängniskleidung, die die spanischen Kriegsdienstverweigerer symbolisierten zum Petersplatz. Je 20 Kriegsdienstverweigerer aus zehn Ländern hatten diese Rolle übernommen und wurden von 300 anderen begleitet. Die deutsche Gruppe wurde von der „Gewaltfreien Aktion Augsburg" gestellt, während die großen Kriegsdienstverweigerer - Organisationen der BRD entweder nicht willens oder nicht fähig waren, ihre Mitglieder zu mobilisieren. Joan Baez, die amerikanische Sängerin, hatte ihre besondere Sympathie mit den spanischen Kriegsdienstverweigerern praktisch bewiesen, indem sie den Erlös von zwei Konzerten in Paris und Lyon für die internationalen Solidaritätsaktionen zur Verfügung stellte. So konnten auch die Ärmsten mit nach Rom fahren, denn mit einem Fahrkostenzuschuss kostete uns z. B. das Ganze nur 15,— DM pro Person. In italienischen und englischen Zeitungen wurde breit mit Photos über die Demonstration im Vatikan berichtet.

Inzwischen waren zwei weitere katholische Kriegsdienstverweigerer in Spanien aus politischen Gründen ins Gefängnis gegangen: Jorge Agullo Guerra und Juan Antonio Lineares. Pepe wurde zwar im Dezember 1971 freigelassen, aber nach seiner erneuten Weigerung wieder verhaftet, obwohl 200 Frauen aus Valencia einen offenen Brief geschrieben hatten, daß die Arbeit Pepes in einem Obdachlosenviertel sinnvoller sei, als sein Aufenthalt im Gefängnis. Am 13. Mai erregte eine gewaltfreie Aktionsgruppe in Valence (Südfrankreich) großes Aufsehen, als sie den TransEuropaExpress „Catalan Talgo" Barcelona—Genf 20 Minuten aufhielten, indem sich fünf Mitglieder an den Zug und zwei an den Schienen festketteten, um auf die spanischen Kriegsdienstverweigerer aufmerksam zu machen. 5000 Karten mit der Forderung nach einem Kriegsdienstverweigerergesetz waren aus ganz Europa an den Verteidigungsausschuss der Cortes geschickt worden, und Amnesty International hatte sich mit ähnlichen Forderungen an alle MdBs, an das Europaparlament in Straßburg, die EWG-Kommission und an die spanische Regierung gewandt.

Aber die spanischen Justiz- und Gesetzesmühlen mahlen noch langsamer als anderswo, und so wurden im Juni 1972 die „encartelados"-Aktionen wieder aufgenommen und mit schärferen Repressionen beantwortet. Vom 11. Juni bis 9. Juli liefen wieder jeden Sonntag insgesamt acht Franzosen, ein Holländer und ein Schweizer durch die Straßen Madrids und Santander mit Forderungen, die sie auf Plakate geschrieben hatten. Als Strafe hatten sie entweder 100 000 Peseten (ca. 5000 DM) zu bezahlen oder einen Monat abzusitzen, bevor sie abgeschoben wurden. Bei den beiden letzten Plakatträgeraktionen hatte die Polizei offenbar den Befehl erhalten, keine Notiz zu nehmen. In der Kenntnis dieser Entwicklung hatte Wolfgang Kroner in der Nullnummer der „Graswurzelrevolution" einen Spanienartikel geschrieben und beschloss als erster Deutscher die internationale Aktionsserie in einer neuen, verschärften Form fortzusetzen. Er wählte die Ankett- Aktion, um seine gewaltfreie Haltung und seine Solidarität mit den Gefangenen aus Gewissensgründen zu symbolisieren.

Nach einer zeitweiligen „Liberalität« der spanischen Behörden, soll offensichtlich jetzt an Wolfgang Kroner ein Exempel statuiert werden. Wegen des erwünschten EWG-Beitritts Spaniens sind Ausländer als politische Gefangene zwar unerwünscht, aber man will den lästigen Demonstrationen begegnen und erwartet aus Deutschland nicht allzu viel Protest, gerade nachdem Aussenminister Scheel im letzten Jahr und Landwirtschaftsminister Ertl erst am 17. Oktober dieses Jahres in Madrid erklärten, daß „die Bundesregierung die möglichst baldige Integration Spaniens in die EWG befürworte und dabei ein guter Weggefährte sein wolle (dass aber eine weitere Harmonisierung der politischen und wirtschaftlichen Strukturen Spaniens mit denen der EWG-Partner die Vorbedingung sei". ( 2 )

Zur Kritik der Aktion
Da aber wie bei allen derartigen Aktionen das Presseecho und die Solidaritätsaktionen der wichtigste Schutz für diejenigen ist, die sich stellvertretend exponieren, ist eine kritische Betrachtung der Vorbereitung notwendig. Der schwierigste Punkt hierbei war, daß nur ein sehr kleiner Kreis vorher eingeweiht werden durfte, weil sonst die Polizei in Spanien Wolfgang Kroner mit offenen Armen empfangen hätte, und dabei vor allem unsere spanischen Freunde gefährdet worden wären. (Man denke an den Fall der vier deutschen Studenten, die kürzlich in Athen verurteilt wurden, weil sie versucht hatten, jemandem zur Flucht aus Griechenland zu verhelfen.) Daher rief die „Gewaltfreie Aktion Augsburg" (zu spät, wie wir zugeben müssen) alle Gruppen, die anzusprechen wir für sinnvoll hielten, zu einer Aktionswoche vom 25. bis 30. September (1972) zugunsten der spanischen Kriegsdienstverweigerer und der politischen Gefangenen auf. Hätten die Gruppen gewusst, daß genau in dieser Woche die Aktion von Wolfgang Kroner in Barcelona ablaufen sollte, wäre das Echo wohl größer gewesen, außerdem herrschte ein erhebliches Informationsdefizit. So liefen die meisten der Aktivitäten erst an, als die Einzelheiten der Aktion vom 27. September bekannt wurden. Am stärksten behindert wurden wir jedoch durch unsere personelle und finanzielle Schwäche. So konnte ein Großteil der Ideen nur mit großer zeitlicher Verzögerung oder überhaupt nicht verwirklicht werden.

Die DFG-IDK hatte in einem Papier zu der WRI-Konferenz im Juli in Sheffield geschrieben:
„Internationale Aktionen sollten so angelegt sein, daß sie organisatorisch und politisch von den nationalen Sektionen mitgetragen und nachvollzogen werden können. Das erfordert Rücksprache vor der Planung von Aktionen, die im Falle der Spanien-Demonstration nicht stattgefunden hat. Wir verwehren es niemandem, an Aktionen teilzunehmen, bei denen eine Verhaftung von vornherein ziemlich gewiss ist. Die DFG-IDK kann und wird jedoch als große politische Friedensorganisation ihre Mitglieder zur Teilnahme an solchen Aktionen nicht auffordern."
In der Praxis stellte sieh auch heraus, daß lediglich Teile der Münchner IDK und und die Würzburger Gruppe bereit waren, sich an unserer Kampagne zu beteiligen. Amnesty International, VK und PPK-Gruppen sowie unabhängige Gruppen hatten jedoch begriffen, daß internationale Solidarität auch ohne eine Zentrale lebendig wird, der die Aktion nicht in ihre politische Linie passt und es nicht mag, wenn ihre Nachrichten- Filterpolitik von kleinen Gruppen durchkreuzt wird.

Bisher beteiligten sich Gruppen in München, Augsburg, Nürnberg, Würzburg, Münster, Göttingen, Köln, Betzdorf, Lübeck, Hamburg und Berlin an der Solidaritätsaktion für Wolfgang Kroner und die Ziele, für die er demonstriert hatte. Neben Unterschriftensammlungen, Informationsveranstaltungen, Demonstrationen vor Konsulaten und der Botschaft in Bonn sollten noch mehr Gruppen an das deutsche Außenministerium und die spanische Botschaft schreiben.
Wolfgang Kroner hatte mit einem bis allerhöchstens drei Monaten Haft gerechnet. Aber wenn sich in der BRD zu wenig Protest ergibt, dann muss er zunächst ein Jahr in Untersuchungshaft sitzen und dann möglicherweise sechs bis zwölf Jahre ins Gefängnis!

Wer mithelfen will, daß Wolfgang Kroner und die Kriegsdienstverweigerer in Spanien nicht länger im Gefängnis sitzen müssen, kontaktiert
Gewaltfreie Aktion Augsburg, Wolfgang Hertle, 89 Augsburg, Äußeres Pfaffengäßchen ..

(1 ) Ein wichtiges Koordinationstreffen fand im Herbst 1971 in der Normandie statt. An diesem Zeltlager der Gruppe Anarchisme et nonviolence nahm auch Pepe Beunza selbst teil, Wolfgang Kroner und der Autor konnten sich dort aus erster Hand informieren. Einer der Teilnehmer war auch José Bové, damals noch Student in Bordeaux und später Totalverweigerer und Neubauer auf dem Larzac)
(2) Süddeutsche Zeitung, 19. 10. 72.

Erschienen in gewaltfreie aktion
Vierteljahreshefte für Frieden und Gerechtigkeit 4. Jahrgang - Heft 13/14 - 3+4. Quartal 1972

Wolfgang Hertle
Zur Freilassung von Wolfgang Kroner - Aktionsbericht
Die Nachricht, daß Wolfgang Kroner für seine Ankettungsaktion zugunsten der spanischen Kriegsdienstverweigerer und politischen Gefangenen nach der vorläufigen Anklage sechs bis zwölf Jahre Gefängnis zusätzlich zu einem Jahr Untersuchungshaft erhalten sollte, löste eine Welle internationaler Solidarität für ihn und seine Demonstrationsziele aus. Obwohl es im Wahlkampf schwer war, sich Gehör zu verschaffen, griffen immer mehr Gruppen und Zeitungen den Fall auf. Bundestagskandidaten von SPD und FDP gaben auf Drängen der Parteijugend Solidaritätserklärungen ab, Jusos und Jungdemokraten wandten sich ebenso an die Presse und an offizielle Stellen wie an den ASTA und an Professoren der Münchner Universität.

Die War Resisters’ International hatte einen dringenden Appell an Gruppen und Organisationen gerichtet. Aus aller Welt trafen Briefe und Telegramme beim spanischen Justiz- und Außenministerium und im Gefängnis von Barcelona ein, die die sofortige Freilassung nicht nur von Wolfgang Kroner, sondern auch aller spanischen Kriegsdienstverweigerer forderten. Belgische Freunde stellten beim internationalen Kongress von Pax Christi Anfang November in Straßburg den Antrag auf eine entsprechende Resolution und bei der Jahresversammlung der deutschen Pax Christi-Sektion wurde u. a. beschlossen, sich an Bundespräsident Heinemann und Bundesaußenminister Scheel zu wenden sowie einen Appell an die spanische Bischofskonferenz zu richten, sich für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung einzusetzen. Während dieser Bischofskonferenz veranstalteten sechs Arbeiter, zwei Lehrerinnen und zwei Priester in Madrid ein demonstratives Fasten, um eine Stellungnahme innerhalb des Dokuments zu erreichen, das die Haltung der spanischen Kirche zum Franco-Staat darstellen sollte (sie weigerten sich, das Fasten als Hungerstreik zu bezeichnen, da sie nicht drohen wollten). Der holländische Kardinal Alfrink. Präsident der internationalen Pax Christi-Bewegung, unterstützte das Anliegen der Fastenden in einem Telegramm an die Konferenz. Tatsächlich enthielt das (inoffiziell bekannt gewordene) Dokument die Forderung nach dem Recht auf Kriegsdienstverweigerung auch für Katholiken.

Aktionen in der Bundesrepublik

Inzwischen breitete sich die Solidaritätskampagne in der BRD mit Demonstrationen und Unterschriftensammlungen aus, wobei sich PPK (1), Amnesty International und Pax Christi-Basisgruppen am stärksten engagierten. In München demonstrierten z. B. Sandwich-Männer vor der spanischen Fluggesellschaft Iberia, während an einem Stand Unterschriften gesammelt wurden, und in Augsburg wurde ein 6 x 7 Meter großes Transparent am Turm neben dem Rathaus aufgehängt. Plakate und Flugblätter (und sogar Maueraufschriften) tauchten in verschiedensten Formen auf. Aber trotz aller Aktivitäten saß Wolfgang Kroner bereits zwei Monate im Gefängnis von Barcelona (wo er von spanischen Freunden von aussen betreut wurde), als zwei Mitglieder des inzwischen gegründeten Solidaritätskomitees in Anwesenheit eines Reporters vom Westdeutschen Rundfunk in der spanischen Botschaft in Bonn am 27. November 5600 Unterschriften übergaben. Für den Fall, daß Wolfgang nicht innerhalb von 14 Tagen freigelassen würde, kündigten wir gewaltfreie direkte Aktionen an. Zunächst war an einen unbefristeten Hungerstreik gedacht, dann wurde dieser Schritt solange zurückgestellt, bis alle anderen möglichen Aktivitäten ausgeschöpft waren.

Demonstrative Selbstankettung vor der spanischen Botschaft

Allein die allgemein gehaltene Ankündigung einer Aktion schien der spanischen Botschaft bereits unangenehm zu sein, denn telefonisch versprach sie von sich aus, in Madrid nachzufragen. Doch nach 14 Tagen war erwartungsgemäß nichts geschehen, und so wurde eine Aktion durchgeführt, die der erste Schritt einer eventuell notwendigen Eskalation sein sollte. Am Sonntag, dem 10. Dezember 1972, berieten sieben Demonstranten (aus Mönchengladbach, Köln, Duisburg, Salmünster, Würzburg und Augsburg in Bonn ihr Vorhaben. Die Presse hatte sicher mit einer zahlenmäßig größeren Beteiligung an der Demonstration gerechnet, aber die Aktionsform glich diesen quantitativen Gesichtspunkt aus. Vier Demonstranten ketteten sich in Gefangenenkleidung an die Gitter vor der spanischen Botschaft an, während die anderen mit Botschaft, Polizei und Presse verhandelten. Auf unser Läuten wurde zunächst nicht geöffnet, dafür kamen überaus schnell sieben (!) Polizeifahrzeuge, die die Straße abriegelten und die Demonstranten zum Abbruch der Aktion bewegen wollten. Die Szene wurde eifrig von den Pressefotografen (dpa, UPI und Lokalpresse) aufgenommen und mitten im Trubel wurden Interviews für den Rundfunk gegeben. Der Polizeioffizier suchte verzweifelt nach einem Anführer; er konnte nicht glauben, daß man auch ohne „Chef" handeln kann. Aber dennoch wurde später eine Anzeige gegen den ältesten Teilnehmer erstattet - wegen ..unangemeldeter Demonstration".
Ursprünglich wollten die Demonstranten nicht eher abziehen, bis entweder die Forderung, ein Telegramm der Botschaft an die Regierung in Madrid zu schicken, angenommen war, oder sie selbst von der Polizei mit Zangen „befreit" worden wären. Wegen unzureichender Vorüberlegungen mußten sich die Demonstranten damit zufrieden geben, daß mit „spanischem Ehrenwort" das Absenden eines Briefes versprochen wurde. So ketteten sie sich nach einer Stunde freiwillig wieder ab, da nach dem zurückhaltenden Vorgehen der Polizei eine Verhaftung zu diesem Zeitpunkt niemandem mehr genützt hätte.

Freilassung
Es ist schwer zu beurteilen, ob es Zufall oder direkte Folge dieser Aktion war, jedenfalls wurde Wolfgang Kroner am Tag darauf in Barcelona ohne Auflagen und ohne Angabe von Gründen freigelassen. Wenn vorher eine Strafe von sechs bis zwölf Jahren drohte und dann plötzlich das ganze Verfahren fallengelassen wurde, beweist das nicht die Liberalität des spanischen Regimes, sondern allein die Tatsache, daß breite Kampagnen selbst Faschisten verunsichern können. Im Verlauf der Kampagne wurde aber auch klar, daß in der BRD trotz theoretischer Kenntnisse ein großes Defizit an praktischer Erfahrung und Training in gewaltfreier Aktion besteht. Skeptikern aber auch zum Engagement bereiten Gruppen kann die Überlegenheit und Schlagkraft gewaltfreier Methoden zur Veränderung der Gesellschaft nicht allein durch bedrucktes Papier, sondern vor allem durch praktische Beispiele und Erfolge in Aktionen und - Kampagnen bewiesen werden.

Was wird mit den spanischen Kriegsdienstverweigerern?
Nach der Ableistung seiner zweiten Gefängnisstrafe ist Pepe Beunza zum waffenlosen Dienst in ein Strafbataillon in der spanischen Sahara gekommen. Wie sich im Fall von Kroner erwiesen hat, beeindrucken möglichst viele Sympathiebriefe die Behörden und stärken die Durchhaltemoral des Gefangenen. ....

Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift „gewaltfreie aktion", Heft 15, 1. Quartal 1973, S. 41-43

(1) PPK = Progressive Pazifisten und Kriegsdienstverweigerer
(2) Ein Untersuchungsrichter sagte zu mir später:„ Das Verfahren wird eingestellt, weil Ihre Aktion Erfolg gehabt hat. Anderenfalls hätten wir Anklage erhoben wegen Verstoss gegen das Bannmeilengesetz..“

Wie es in Spanien weiterging:

Insumision: a question of state
In 1971, Pepe Beunza made history as the first modern Spanish conscientious objector; today he visits prisons to support young objectors who refuse the alternative service, which Pepe demanded. With more objectors than conscripts in parts of the state, and with alternative service in administrative chaos, is the Spanish model of massive disobedience to conseription now on the verge of success? ….
.
Read more
https://www.wri-irg.org!enlstory/ 1 994/insumision-guestion-statehttps ://en.

and also

www.wikipedia.orglwiki/Insubordinate_movement_in_Spain

"We paid a price of a thousand years in jail, but we got almost nobody wanted to do the mili "

The three years and two months that Pepe Beunza spent in prison were the starting point of one of the most successful campaigns of civil disobedience in Spain: conscientious objection and insumption to compu!sory military service. lt was 1971. Thirty years later, the Spanish (overnment finally gave its arm to twist eliminating the milli. We talked to Pepe Beunza.......

Continue to read:
"We paid a price of a thousand years in jail, but we got almost nobody wanted to do the mili"


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