Hilf mit, die Entwicklung der gewaltfreien Ideen und ihrer praktischen Umsetzung in West-Deutschland zwischen Kriegsende und außerparlamentarischer Opposition zu erforschen und zu verbreiten.
Bei dieser "Rekonstruktion" wesentlicher Teile der Bewegungsgeschichte geht es weniger um Darstellungen aus der Sicht einzelner Verbände, als darum zu verstehen, wie sich die Idee und die Praxis der gewaltfreien Aktion in der Bundesrepublik Deutschland entwickelt und verbreitet hat:
– Wie wirkte sich das gewaltfreie Prinzip gegen diverse Widerstände im geteilten Nachkriegs-Deutschland auf die Praxis gewaltfreier Aktion aus?
– Ging es "nur" um die Verhinderung der schlimmsten Formen von Gewalt (Krieg und Diktatur) oder konnten sich alternative Zielvorstellungen von einer gerechteren und gewaltärmeren Gesellschaft gegen die Normen der beiden deutschen Staaten im Kalten Krieg entwickeln?
Dies sind bis heute höchst aktuelle Fragen, denn defensive gewaltfreie Aktionen werden auf Dauer unzureichend bleiben. Wenn wir betonen, dass Ziele und Mittel übereinstimmen sollen, folgt daraus zwingend die Frage, welche Eigenschaften eine gewaltfreie oder mindestens gewaltärmere Gesellschaft aufweisen müsste. Daraus ergäben sich Hinweise auf Strategie und Organisierung der gewaltfreien Bewegung.
Projektskizze
Bisher fehlt eine ausführliche Darstellung der Gruppierungen, Diskussionen, Schriften und Aktionen der Bewegung für gewaltfreien Widerstand in Deutschland. Interessante Erfahrungen sind weitgehend vergessen, sie könnten aber das Selbstbewusstsein der heutigen Bewegungen stärken, wenn sie in die Erinnerung zurückgeholt werden. Die geplante Arbeit legt ihren Schwerpunkt auf die Zeit zwischen 1945 und 1968 sowie auf Westdeutschland (was die Erforschung und Dokumentation der Entwicklung danach bis heute nicht ausschließt).
Die Schwierigkeiten, Bewegungsgeschichte zu schreiben, rühren aus dem schwachen Selbstbewusstsein dieser Bewegung, den Unterschieden der weltanschaulichen Begründungen und dementsprechend ihrer politischen Konsequenzen. Hinzu kommt eine schwache Traditionsbildung, die Jüngeren beginnen subjektiv jeweils von vorne bzw. wissen wenig vom Wirken der vorausgegangen Generationen. Anstöße zum praktischen Engagement kamen oft aus dem Ausland über bekannte Vorbilder z.B. aus der indischen Unabhängigkeitsbewegung (Mahatma Gandhi) oder der US-Bürgerrechtsbewegung ( Martin-Luther King) bzw. durch Erfahrungen Freiwilliger bei Friedensdiensten im Ausland.
Im wesentlichen gibt es zwei Arten von Quellen
– Pazifistische Organisationen wie die Internationale der Kriegsdienstgegner (IdK) und der Verband der Kriegsdienstverweigerer (VK), der Internationale Versöhnungsbund (IVB) publizierten in höherer Auflage eigene Zeitschriften und Broschüren. In den Zeitschriften “Versöhnung“ (1947-1969), “Friedensrundschau“ (1947-1966) und „zivil“ (1958-1974) war Gewaltlosigkeit / Gewaltfreiheit häufig Thema, woraus nicht unbedingt zu schließen ist, dass dies die Leitlinie für Theorie und Praxis dieser Verbände darstellte.
Foto: Theodor Michaltscheff (1)
– Es waren eher Einzelne bzw. kleine Gruppen am Rande, innerhalb wie außerhalb dieser Verbände, die darauf drängten, dass gewaltfreie Prinzipien nicht verbal bleiben dür, sondern sich durch Praxis in Aktionen äußern müsse. Der oft apolitische Pazifismus in den Verbänden, ein Kompromissergebnis zwischen bürgerlichen, sozialdemokratischen und kommunistischen Fraktionen frustrierte diese Minderheitengruppen, weshalb es ein Teil von ihnen vorzog, unabhängige Gruppen zu bilden, um eindeutiger und effektiver arbeiten zu können. Diese Gruppen veröffentlichten Rundbriefe und organisierten Fortbildungsseminare, z. B. im Internationalen Freundschaftsheim Bückeburg. Erwähnt werden sollen an dieser Stelle
Personen
– wie die beiden Heidelberger Studenten, die Im Dezember 1951 die evakuierte Insel Helgoland besetzten und vor der Zerstörung durch RAF(Royal Air Force) - Bombenabwürfe retteten.
– Prof. Nikolaus Koch mit seinem ambitionierten Programm gegen den „modernen Fünfkrieg“ und den Schulungen für „Freiwillige“ in Witten-Bommern
– die Hamburger Gruppe engagierter Buddhisten „Die Streitlosen“ (1952-1954), die vom Koreakrieg für deutsch-deutsche Friedensarbeit mobilisiert wurde
Der Hamburger„Aktionskreis für Gewaltlosigkeit“ (1956-1963), aus dem ab 1960 die Initiative für die ersten Ostermärsche gegen Atomwaffen hervorging (insbesondere durch Helga Stolle und Konrad Tempel).
– Die Stuttgarter Gruppe „Gewaltfreie Zivilarmee“ (1962-1965) mit Theodor Ebert und Wolfgang Sternstein, die u. a. das Nachrichtenblatt für gewaltfreie Aktionsgruppen „konsequent“ herausgab.
– Die Hannoveraner Gruppe „Direkte Aktion", u. a. mit Wolfgang Zucht, und ihre gleichnamigen "Blätter für Anarchismus und Gewaltlosigkeit" (1964-1966)
Diese Gruppen sind wenig bekannt, daneben gab es zwischen 1956 und 1966 weitere Gruppen in Berlin (Studienkreis für Fragen des gewaltlosen Widerstandes), Hannover (Arbeitskreis für Fragen des nichtverletzenden Widerstands), Kiel (Aktionskreis für Gewaltlosigkeit), Frankfurt (Arbeitskreis für Gewaltlosigkeit), Braunschweig usw., aber auch Initiativen für ein deutsches „Komitee der 100“ (2) sowie Aktionen Zivilen Ungehorsams in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen, meist im Rahmen der WRI-Sektionen IdK und VK, die noch wenig erforscht sind. Unzureichend untersucht sind bisher auch größere Aktionen wie der „Verhandlungsgang für den Frieden“ 1953 von Hamburg über Bonn nach Ost-Berlin. Etwas besser steht es um die Dokumentation des „San Francisco - Moskau – Marsches" , der 1961 Deutschland durchquerte.
Blockade einer NATO-Kaserne in Duisburg 1959
Zu den Quellen:
Zeitschriften:
Folgende Zeitschriften und Rundbriefe enthalten besonders viele Hinweise auf die Entwicklung der zu untersuchenden Bewegungsströmung:
Friedensbote, bzw. Friedensrundschau, 1947-1966 (3)
Versöhnung, 1947-1969
zivil (Verband der Kriegsdienstverweigerer VK)
Das Gewissen (Kampfbund gegen Atomschäden)
konsequent
Direkte Aktion
Der Christ in der Welt
Werkhefte
Gemeinschaft und Politik...
Einschlägige Bestände liegen u.a. in folgenden Archiven:
Archiv Aktiv Hamburg: Gertrud Westhoff, Korntal; Dr. Lothar Schulze, Hannover,
IdK Berlin, „Die Streitlosen“
Evangelisches Zentralarchiv, Berlin: Wilhelm Mensching, Internationales Freundschaftsheim Bückeburg, Internationaler Versöhnungsbund, Gesellschaft der Freunde (Quäker)
Forschungsstelle für Zeitgeschichte (Hamburg): Theodor Michaltscheff, IdK (1947-1966)
Hamburger Institut für Sozialforschung Vorlass von Helga und Konrad Tempel (Aktionskreis für Gewaltlosigkeit, Ostermarsch der Atomwaffengegner)
Nachlässe von Dr. Herbert Stubenrauch, Frankfurt; Klaus Marwitz, Hannover/Bremen, Theo Hengesbach, Dortmund, Andreas Buro, Grävenwiesbach...
Landesarchiv Duisburg Deutsche Friedensgesellschaft, Internationale der Kriegsgegner, Verband der Kriegsdienstgegner
Hessisches Staatsarchiv Darmstadt: Hanne und Klaus Vack
Internationales Institut für Sozialgeschichte, Amsterdam:
War Resisters’ International
Mit einigen Zeitzeugen habe ich in den letzten Jahren zeitgeschichtliche Gespräche und zum Teil ausführliche Tonbandinterviews geführt, darunter
Christel Beilmann; Horst Bethmann, Theodor Ebert, Günter Freitag, Hans Gressel, Arnold Haumann, Helmut Hecker, Nikolaus Koch, René Leudesdorff, Lothar Schulze, Reiner Steinweg, Herbert Stubenrauch, Helga und Konrad Tempel, Hanne und Klaus Vack.
Andere Zeitzeugen habe ich erlebt, aber nicht rechtzeitig bzw. ausreichend befragen können, so Gustav Heckmann, Helmut Hertling, Günter Frucht, Heinz Kloppenburg, Rosel Lohse-Link, Wilhelm Mensching, Agnes Rösler, Wilhelm Ude, Trude Westhoff.
Weitere Personen bleiben zu befragen.
Nicht nur in Archiven und am Schreibtisch:
Neben der einsamen Arbeit, aus unzähligen Puzzle-Teilen eine einigermaßen repräsentative „Geschichte“ zu schreiben, möchte ich gern einen kollektiveren Prozess des Forschens, Lernens und Verbreitens der Ergebnisse anregen durch:
– Vorträge über einzelne Personen, Organisationen und Gruppen, Zeitschriften, Bildungs- und Begegnungsstätten, transnationale Kontakte und Lernprozesse
– Recherchen vor Ort zusammen mit Zeitzeugen und jüngeren Aktiven sowie an Zeitgeschichte Interessierte
– Tagungen mit ZeitzeugInnen und jüngeren Aktiven - Studientage mit DoktorandInnen und sonstigen an Bewegungsgeschichte Interessierten
Trude Westhoff
(1) Erinnerungen von Theodor Michaltscheff "Zwanzig Jahre IdK - Zwanzig Jahre Friedensrundschau, 1947-1966"
(2) Aus Protokollen und Korrespondenzen verschiedener Nachlässe wie dem von Herbert Stubenrauch oder dem Vorlass von Konrad Tempel geht hervor, dass Vertreter der britischen Direct Action Committee und der deutschen Ostermarschbewegung über die evt. Gründung eines deutschen "Komitee der 100" nach dem Vorbild des britischen Committee of 100 beraten haben. Offenbar wollte eine konkurrierende Gruppe verhindern, dass Themen wie Kritik an der DDR mit Aktionen Zivilen Ungehorsams verbunden würden. Fakt ist, dass es nicht zur Gründung eines tatkräftigen Komitees kam, das die Ostermarschbewegung durch Aktionen Zivilen Ungehorsams ergänzt hätte. Für das Verständnis mancher Entwicklungen wäre es nützlich, durch zusätzliche Quellen und Aussagen von Zeitzeugen Licht wie z. B. in dieses Kapitel zu bringen.
(3) Eine Reihe von Broschüren und Zeitschriften- teilweise komplette Jahrgänge, insbesondere Friedensrundschau, aber auch zivil, graswurzelrevolution und Gewaltfreie Aktion liegen zum Erwerb oder Tausch für interessierte Archive oder ForscherInnen bereit. Anfragen an wolfgang.hertle chez gmx.de.
Weitere Projekte über die folgenden Jahrzehnte sind wünschenswert. Beratung bei Recherchen für Medien, Seminararbeiten und Dissertationen ist möglich, Vorträge und Einstiegsseminare ebenso.
Interessierte an dieser zeitgeschichtlichen Arbeit schicken ihre Fragen und Angebote an wolfgang.hertle chez gmx.de . Bei entsprechendem Interesse wird eine eigene mailing-Liste eingerichtet.