KURVE Wustrow:
40 Jahre Training für Gewaltfreiheit
Bildungs-und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion
On-line gesetzt am 15. Februar 2020
zuletzt geändert am 29. März 2020

Heute kennen viele die KURVE Wustrow vor allem als internationale Friedensorganisation - doch kaum jemand weiß, dass die Wurzeln dieses Vereins darin lagen, Gewaltfreiheit im Gorleben-Widerstand konkret zu diskutieren, zu trainieren und zu verwirklichen.

Ein Bericht von Angelika Blank.

Zwischen Gorlebentreck und Besetzung des Bohrplatzes 1004 konkretisierte sich die Idee, Methoden und Formen gewaltfreien Widerstands in einem Bildungszentrum zu vermitteln. Zu dieser Zeit gehörten Diskussionen über Gewaltfreiheit im Widerstand zu jedem Treffen der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg (BI). Während die einen bezweifelten, dass gewaltfreie Aktionen jemals zum Erfolg führen würden, war es für die anderen undenkbar, eigene Ziele mit Gewalt durchzusetzen. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen um das AKW Brokdorf im Jahre 1976 standen wie ein Schreckgespenst über den Diskussionen.

Für den Konflikt- und Friedensforscher (und Gründer der [Zeitschrift] ‚Graswurzelrevolution’) Wolfgang Hertle war es zu diesem Zeitpunkt keine Frage, dass Gewaltfreiheit im Widerstand zum Erfolg führen kann. Er habe im französischen Larzac fasziniert erlebt, wie ein ganzes Dorf (1) zehn Jahre lang gewaltfrei gegen die Ausweitung eines Militärgeländes kämpfte - letztendlich mit Erfolg. 1981 wurde das Projekt vom neuen Präsidenten Francois Mitterand eingestellt.

Hertle auf der Jubiläumstagung der KURVE Wustrow im November 2019: „Der erfolgreiche Protest gegen das AKW Wyhl war für uns eine Bestätigung, dass Widerstand durch Gewaltfreiheit erfolgreich sein kann. In Brokdorf ist der Protest dann gescheitert - wegen der Gewalt. Die Auseinandersetzungen über die Gewaltfrage gingen im Landkreis weiter. Immer wieder brandete die Gewaltdiskussion bei den Trebeler Treffen hoch. Für die 61 wurden wir da zum Teil als Puffer gegen diejenigen benutzt, die in Brokdorf dabei waren. Aber das war labil. Nicht alle in der BI konnten sich mit dem Konzept der Gewaltfreiheit anfreunden.

Margrit Albers, die kurz zuvor eine Diplomarbeit zu Gewaltfreiheit im Widerstand geschrieben hatte, wurde ebenfalls schnell ein Mitglied der Gründungsgruppe der KURVE Wustrow. Sie hatte von der Initiative zur Gründung einer Bildungsstätte von ihrem Professor, dem Politikwissenschaftler und Soziologen Theodor Ebert, gehört. Bei den BI-Treffen musste sie allerdings die Erfahrung machen, dass Gewaltfreiheit unter den wendländischen Widerständler/innen längst noch keine gemeinsame Basis war. „Bei den Treffen der BI in Trebel wurden wir schräg angeguckt. Da galten wir als ‚Gewaltvermeider’," so Margrit Albers’ Erleben der damaligen Treffen.

„Auf den Treffen der BI wurde immer wieder deutlich, dass gewaltfreie Aktion keine Selbstverständlichkeit ist," so Wolfgang Hertle. „Neben der Skepsis, dass das Erfolg haben könnte, fehlten auch Methoden und Formen." Die Idee, ein Bildungszentrum zu gründen, in dem Methoden und Aktionsformen gewaltfreien Widerstands diskutiert, entwickelt und umgesetzt werden konnten, nahm immer mehr Form an. Der Name des 1979 gegründeten Vereins beschrieb klar den Auftrag: „Bildungs- und Begegnungsstätte" für gewaltfreie Aktion".

Es war nicht nur Hertle, der an Methoden für gewaltfreie Aktionen arbeitete. In der ganzen Bundesrepublik hatten sich seit Mitte der 70er Jahre verschiedene Arbeitsgruppen zusammengefunden, die letztendlich zu der Erkenntnis kamen, dass es einen Ort brauchte, an dem Methoden und Farmen für gewaltfreien Widerstand vermittelt werden. In einem Urlaub in Dänemark Ostern 1979 konkretisierten dann Harrnen Storck, Theodor Ebert und Wolfgang Hertle das Konzept für eine „Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion"
Den noch im gleichen Jahr veröffentlichten Gründungsaufruf (verbunden mit der Bitte um Unterstützung) unterschrieben dann über hundert Engagierte, darunter so prominente Vertreter/-innen aus Politik, Kultur und Kirche wie Emst Ulrich von Weizsäcker, Dorothee Sölle, Carl Amery, Robert Jungk, Petra KelIy oder Martin Niemöller. Auch wendländische Gorlebengegnerinnen wie Rose Fenselau und Marianne Fritzen gehörten zu den Unterzeichner/-innen.

Die in dem Gründungsaufruf formulierten Zielsetzungen gelten heute noch:,, Förderung von Theorie und Praxis der gewaltfreien Aktion zum Abbau direkter wie struktureller Gewalt in der Gesellschaft, Förderung der Zusammenarbeit gewaltfreier Gruppen verschiedener Herkunft und Altersstruktur, Stärkung des gewaltfreien Widerstandes gegen die Entsorgungsanlagen bei Gorleben sowohl vor Ort als auch im dezentralen Widerstand in der gesamten Bundesrepublik."

Dass das Zentrum der neuen Bildungsstätte im Wendland liegen würde, war Ergebnis einer monatelangen Diskussion. „Frankfurt stand lange hoch im Kurs",so Hertle auf der KURVE-Jahrestagung. „Wir entschieden uns dann doch für das Wendland, weil uns klar wurde, dass die Realität hier von dem großen Konflikt um die Atomanlagen in Gorleben dominiert wird und dieser Konflikt noch sehr lange anhalten würde."
Der Konflikt- und Friedensforscher Reiner Steinweg (Gründungsmitglied der KURVE Wustrow und zeitweise Mitvorsitzender), der 1979 noch an der Universität Frankfurt arbeitete: „Es war total einsichtig, eine solche Einrichtung an einem Ort zu machen, der zu einem der größten Konfliktpunkte der damaligen BRD geworden war." Also entschieden sich die Gründer/-innen für das Wendland als Standort. 1980 war ein Haus gefunden - in Wustrows Kirchstraße. Doris und Wolfgang Hertle, Margrit Albers und ihr damaliger Ehemann Udo Emse wagten es, das völlig heruntergekommene Haus mit ihren Kindern zu beziehen und in Stand zu setzen.
In der Bevölkerung waren die Reaktionen auf das "linke" Projekt sehr gemischt. Viele beäugten uns misstrauisch oder mit offener Ablehnung" so Margrit. Es gab zwar immer wieder auch Sympathiebeweise, doch von der Kommunalpolitik wurde die Initiative vehement abgelehnt. „Es gab eine Stadtratssitzung," erzählte Wolfgang Hertle „Da sagte der Bürgermeister „Jetzt kommen die Kanaken auch noch nach Wustrow". Und das war nicht das einzige Mai, wo er seinen Unmut äußerte." Unterstützung oder gar finanzielle Hilfe waren damals undenkbar. Diese Zeiten sind längst vorbei. Die „KURVE Wustrow’ ist heute nicht nur aktiver Teil des wendländischen Widerstands, sondern auch ein anerkannter Partner für Projekte im internationalen Zivilen Friedens- und Freiwilligendienst und für soziale Bewegungen.

Aus: Gorleben Rundschau (Lüchow) Nr.1-2 /2020, S 28-29