Sruti Bala
The Performativity of Nonviolent Protest in South Asia (1918-1948)
Article published on 16 July 2013
last modification on 16 April 2015

Die indische Theaterwissenschaftlerin Sruti Bala (Universität Amsterdam) hat eine interessante Dissertation geschrieben, die in englischer Sprache auf der web site der Universität Mainz gespeichert ist und daher von allen Interessierten gelesen werden kann.

The Performativity of Nonviolent Protest in South Asia (1918-1948).

http://ubm.opus.hbz-nrw.de/volltexte/2009/1994/

Inhaltszusammenfassung auf Deutsch:

Die Dissertation widmet sich einer bislang wenig untersuchten Frage in der Forschung zur gewaltfreien Aktion, nämlich der Performativität des gewaltfreien Protests, im Gegensatz zur viel untersuchten Frage der Wirksamkeit von gewaltfreien politischen Ansätzen. Woraus besteht ein gewaltfreier Akt, wenn man ihn als Handlungsfeld und nicht im gängigen Sinne eines Zustands der Abwesenheit von Gewaltanwendung sieht? Was können theaterwissenschaftliche Theorien zum Verständnis gewaltfreien Handelns beitragen?

Die Studie hinterfragt die Geschichtsschreibung des gewaltfreien Protestes in Südasien durch die Einbeziehung von theaterwissen - schaftlichen Begriffen, Analysemethoden und Denkfiguren.

Die ersten zwei Abschnitte der Studie erläutern die begrifflichen und interdisziplinären Parametern der Dissertation, und zwar einerseits die Gewaltfreiheit und andererseits die Performativität. Die Genealogien der beiden Begriffe werden kritisch beleuchtet und durch wiederkehrende Bezugsfelder in Verbindung zueinander gesetzt. Zwei Fallbeispiele ermöglichen eine tiefergehende Untersuchung von der Performativität der Gewaltfreiheit: erstens das Fasten als Protestwaffe in Gandhis politischem Arsenal und zweitens die Khudai Khidmatgar, die Armee der gewaltfreien Soldaten in der Nordwestfrontierprovinz von heutigem Pakistan.

Die Dissertation beginnt mit einem typologischen Überblick von Theorien der Gewaltfreiheit. Die Theorien werden zusammengefasst im Hinblick auf häufig vorkommende Missverständnisse über Gewaltfreiheit, wie beispielsweise die Opposition zwischen passivem und aktivem Handeln, die Infragestellung der tatsächlichen Abwesenheit von Gewalt oder die mangelnde Wirksamkeit des politischen Ansatzes. Dieser Abschnitt zeigt die Lücken in existierenden Theorien der Gewaltfreiheit auf und weist auf potentielle Erörterungs- und Forschungsmöglichkeiten darin.

Kapitel 3 bietet einen Überblick über die verschiedenen Begriffsabschattungen des Begriffs der Performativität, und stellt die unterschiedlichen Anwendungsfelder kritisch in Bezug zueinander. Die Dissertation fragt nach dem Potential des Begriffs der Performativität in einer Theoriebildung zur Gewaltfreiheit und schlägt dann vier Grenzfelder vor: Handeln/ Handlungsunfähigkeit, Gewalt/ Abwesenheit von Gewalt, der Akteur/ der Gegner und Körper/ Geist. Diese Grenzfelder ermöglichen eine theoretische Annäherung von Gewaltfreiheit als einen performativen Prozess.

Das erste Fallbeispiel der Dissertation ist Mohandas Gandhis Gebrauch des Fastens als Methode des gewaltfreien Protestes. Mithilfe einer Lektüre seiner eigenen Äußerungen zum Thema, seiner Reden und Briefe sowie durch eine Diskursanalyse der Reaktionen zu Gandhis Fasten in der britischen Presse untersucht die Studie wie das Fasten zu einem der erfolgreichsten Methoden in Gandhis politischer Kommunikation wurde. Der Abschnitt erläutert den kulturellen Kontext und die historischen Bezugsquellen, aus denen Gandhi seine Methoden geschöpft und neu interpretiert hat. In der kritischen Analyse liegt der Schwerpunkt auf Gandhis performative Körperkonzeption.

Das zweite Fallbeispiel ist die gewaltfreie Armee der Paschtunen, Khudai Khidmatgar (KK), wörtlich die Diener Gottes. Diese anti-imperialistische Bewegung in der Nordwestfrontierprovinz des heutigen Pakistans existierte zwischen 1929 und 1948. Die antimilitaristische Bewegung adoptierte die Organisationsform einer Armee. Ihre Aktivitäten variierten zwischen Protestaktionen gegen die britische Herrschaft und Sozialreformaktionen innerhalb der eigenen Bevölkerung. Die KK war formal mit der indischen Kongress-Partei verbunden, in ihrer Praxis und in der Konzeptualisierung von Gewaltfreiheit war sie jedoch von einer ganz anderen Tradition inspiriert als Gandhi, nämlich vom Islam und von der Paschtunkultur. Die Studie erforscht die Aktivitäten der gewaltfreien Armee durch eine Neulektüre des existierenden historiographischen Materials, besonders im Hinblick auf ihr Verständnis von gewaltfreier Aktion und Konfrontation. Von besonderem Interesse ist die Art, wie scheinbar gegensätzliche Ideologien und Haltungen in der KK performativ miteinander kombiniert wurden. Das Beispiel der KK dient zu einer dialektischen, sich aus Gegensätzen hervorhebenden Beschäftigung mit dem Begriff der Gewaltfreiheit.

Das letzte Kapitel der Dissertation bietet eine vergleichende Interpretation von Gandhis Fasten und die Aktionen der KK. Die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten werden in Bezug auf die Grundfrage der Dissertation erläutert, nämlich die der Performativität der Gewaltfreiheit.